Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
denn ich werde trotzdem noch etwas deprimiert. Ich meine, er sollte diese Zauber
lieber für sich selbst anwenden, denn in letzter Zeit sieht er ziemlich mitgenommen aus. Liegt
wahrscheinlich an den Kosten für diese ganzen Medikamente und so. Ich habe deswegen schon
Schuldgefühle und wünsche mir manchmal, ich könnte der Sache sofort, hier und jetzt, ein Ende
machen, anstatt ihn ständig soviel zu kosten.«
Das würde auch geschehen - doch Zane wußte zugleich, daß dies den Vater des Jungen nicht
glücklich machen würde.
»Ich bin kein Geldeintreiber«, sagte Zane. »Obwohl mein Beruf damit wohl verwandt ist.«
»Dann sind Sie vielleicht Vertreter. Sie haben ein Produkt, das ich gebrauchen kann. Ein neues
Heimcomputerprogramm, das mich achtundvierzig Stunden am Stück fesseln wird.«
»Länger«, murmelte Zane und fühlte sich unbehaglich.
»Ach, ist mir egal. Ich habe alle diese Spiele schon so lange gespielt, daß ich sie nicht mehr
sehen kann. Die magischen Spiele auch. Ich habe schon mehr harmlose mythologische Tiere
herbeibeschworen, als ich überhaupt für möglich gehalten hätte. Selbst jetzt liegt noch ein rosa
Elefant unter meinem Bett. Sehen Sie?« Er zog die herunterhängende Bettdecke ein Stück hoch, und
Zane erblickte einen rosa Elefantenrüssel. »Was ich wirklich möchte, ist, hinaus in die Sonne zu
gehen und einfach nur rumzulaufen und zu spüren, wie das trockene Laub unter meinen Füßen
knistert. Ich liege schon so lange in diesem Bett!«
Natürlich war der Junge viel zu schwach, um laufen zu können. Selbst wenn Zane ihn lebend aus dem
Gebäude gebracht hätte, hätte es nicht funktioniert. Wie gut wußte Tad tatsächlich über seinen
wirklichen Zustand Bescheid, oder wieviel ahnte er?
»Was ist denn los mit dir?« fragte Zane.
»Ach, es hat irgendwas mit meinem Rückgrat zu tun. Es tut weh, also wenden sie einen örtlichen
Schmerzlosigkeitszauber an und verpassen mir eine Rückenmarksspritze, aber dann werden meine
Beine taub, und ich kann nicht laufen. Ich wünschte, sie würden die Sache endlich hinkriegen. Ich
verpasse ziemlich viel in der Schule und möchte nicht unbedingt eine Klasse wiederholen müssen.
Schließlich hatte ich einen Durchschnitt von zwei. Alle meine Freunde werden nun weiterkommen,
verstehen Sie, und dann sehe ich ziemlich blöd aus.«
Also hatte man ihm tatsächlich gesagt, daß er gesund werden würde. Zane merkte, wie er wütend
wurde. Welches Recht hatten sie, den Jungen derart zu betrügen?
»Was ist denn?« wollte Tad wissen.
Nun mußte Zane eine Entscheidung fällen. Sollte er ihm die Wahrheit sagen - oder sollte er die
Lügerei fortsetzen? Wenn er dem Problem aus dem Weg ginge, würde er tatsächlich durch
Nichttätigkeit lügen.
»Ich stecke in der Klemme«, gab er zu.
»Dann lassen Sie sich nicht von ihr kneifen«, riet der Junge.
Zane lächelte. Darauf konnte man sich verlassen, daß ein Jugendlicher daraus ein Wortspiel machen
würde!
»Ich würde viel lieber auf meinem guten Pferd sitzen.«
»Sie haben ein Pferd? Ich wollte immer eins haben! Was denn für eine Rasse?«
»Ich weiß seine Rasse nicht, da bin ich kein Experte. Ich habe ihn geerbt. Es ist ein großer,
schwarzer Hengst, sehr kräftig, und fliegen kann er auch.«
»Wie heißt er?«
»Mortis.«
»Ein Morgan-Pferd? Das ist eine gute Rasse.«
»Mortis.«
»Morris?«
»Mortis, mit T. Es ist ein...«
Tad war nicht dumm.
»Mortis heißt Tod«, sagte er. »Ich habe eine Zwei plus in Latein.«
Zane spürte, wie ihm flau wurde. Er hatte mehr verraten, als er gewollt hatte, weil er kein
Latein konnte. »Er ist ein Todespferd.«
»Aber kein lebender Mensch kann ein Todespferd reiten!«
»Es sei denn, das Pferd erlaubt es ihm«, sagte Zane, der schon wußte, was nun folgen würde. Warum
besaß er nicht den Mut, seinen Auftrag etwas ehrlicher auszusprechen?
Der Junge drehte Zane das Gesicht zu und starrte ihn an.
»Dieser Mantel!« sagte er. »Diese schwarze Kapuze! Ihr Gesicht - jetzt erkenne ich es etwas
deutlicher. Es ist ja bloß ein Totenschädel!«
»Sieht so aus. Aber ich bin ein Mensch. Ein Mensch, der seinem Amt nachgeht.«
»Sie müssen...« Tad atmete schaudernd ein. »Ich werde die Schule nie wiedersehen, nicht
wahr?«
»Es tut mir leid. Ich habe keine andere Wahl.«
»Ich schätze, ich habe es gewußt. Ich habe diesen Ärzten nie wirklich geglaubt. Die Drogen und
Zauber haben zwar dafür gesorgt, daß ich mich gut fühle, aber in meinen tiefsten Träumen habe ich
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