Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
Fäden aufbrauchte, ohne auch nur einen Schritt weiterzukommen. Es mußte eine
bessere Möglichkeit geben, doch welche?
Offensichtlich war es eine allzu verlustreiche Taktik, jedes Ungeheuer zu überprüfen. Also würde
sie gar keines mehr überprüfen. Hätte sie diese Methode bisher verfolgt, so wäre sie von dem
Tigermann aufgefressen worden - und hätte zwei Fäden verloren. Das war aber immer noch weniger
als die drei, die sie verbraucht hatte, um jedem Ungeheuer auf den Zahn zu fühlen.
Niobe schritt weiter den Gang entlang. Sie gelangte an einen riesigen Menschkopf, aus dem fünf
Menschenbeine hervorgewachsen waren. Es gab keinen Oberkörper. Wahrhaftig ein Ungeheuer! Sie ging
direkt darauf zu.
Das Ungetüm rollte auf sie zu, wobei jeder Fuß abwechselnd den Boden berührte und trat nach ihr,
als es sie erreicht hatte. »Aua!« heulte sie, als sie einen Tritt ins Knie abbekam, dann
erwischte der nächste Fuß sie im Gesicht. Ihre Nase explodierte vor Schmerz, und sie stürzte zu
Boden. Dann war das Monster, über ihr und trampelte sie zu Tode.
Natürlich war es kein wirklicher Tod, und doch fühlte sie Schmerzen. Nach einer Weile entfernte
sich das Fußgesicht, und Niobe erhob sich torkelnd. Der Schmerz ließ nach, und sie stellte fest,
daß weder ihre Nase noch ihre Gliedmaßen gebrochen waren. Sie war unverletzt. Die Hiebe hatten
ihr zwar schrecklich wehgetan, aber keinen dauerhaften Schaden angerichtet.
Wieder zwei Fäden verloren. Spielstand: neun zu drei für Satan. Tatsächlich brachte der Gang ihr
nur Schmerzen, aber kein Weiterkommen. Sie befand sich in einer Sackgasse, von Ungeheuern
blockiert. Sie begab sich zurück zur Ausgangskammer dieses Labyrinthabschnitts. Dort waren noch
vier weitere Ausgänge mit Wächtern.
Niobe musterte die Ungeheuer. Das eine war ein Vogel mit dem Kopf eines Fuchses; ein anderes war
eine Schlange mit Frauenkopf; das dritte Ungeheuer war ein Männerkopf mit zwei muskulösen Armen
anstelle der Ohren; das letzte war ein schweinsköpfiger Hund. Ja, das hier war wirklich die
Hölle! Die Dämonen hatten nicht einmal irdische Gestalt.
Vier Möglichkeiten, vier Chancen. Sie konnte entweder vier ihrer kostbaren Fäden opfern, um alles
zu testen, oder das Risiko eingehen, einfach hindurchzugehen, wobei die Chancen eins zu eins
standen, daß es sie ohnehin vier Fäden kosten würde, bis sie den richtigen Durchgang gefunden
hatte. Wenn es überhaupt der richtige Durchgang war. Der erste war es ja auch nicht
gewesen.
Nein, so ging das nicht! Sie brauchte eine Strategie, mit der sie nicht nur weiterkam, sondern
dies auch ökonomisch genug tat, um einen leichten Überschuß an Fäden zu erzielen.
Sie mußte pro Faden zwei Illusionen ausschalten und nicht umgekehrt. Sich einfach nur blindlings
durchzustümpern, war kein Weg zum Erfolg.
Immerhin hatte sie Zeit. Es gab keine Zeitbeschränkung für das Labyrinth; sie mußte weitermachen,
bis sie entweder zu ihrem Sohn vorgestoßen war oder ihre Seele verloren hatte. Wenn sie ewig
zögerte, würde sie nie der Hölle entkommen oder Lunas Position retten. Die Zeitplanung oblag ihr
allein.
Es mußte irgendeinen Schlüssel zu diesem Labyrinth geben, den sie bisher übersehen hatte. Wie sie
sich doch wünschte, Cedrics wache Intelligenz zu besitzen oder die ihres Sohnes! Offensichtlich
würde sie nicht mit Hilfe des blinden Zufalls ihren Weg machen; nur eine geeignete Strategie
würde dies leisten. Doch welche?
Sie ging die Sache im Geiste durch, denn sie wußte, daß es eine Lösung geben mußte. Vielleicht
hatte Satan sie hinsichtlich ihrer Chancen getäuscht, doch Mars bestimmt nicht. Sie hatte
wenigstens eine Chance von eins zu eins wenn sie nur herausbekam, wie sie vorgehen mußte.
Langsam dämmerte es ihr. Sie mußte ihre Fäden einteilen, doch das mußte Satan mit seinen
Illusionen auch tun. Jedem standen nur einhundert zur Verfügung. So wenig, wie sie ihre Fäden
vergeuden wollte, so wenig durfte er Illusionen vergeuden. Jeder von ihnen mußte eine Strategie
entwickeln, durch welche er die meisten Punkte erhielt. Doch während sie einen unproduktiven Weg
abbrechen und einen neuen nehmen konnte, stand Satan diese Möglichkeit nicht offen; er hatte das
Labyrinth zu Anfang aufgebaut und konnte es nicht mehr ändern. Da leuchtete es ein, daß Satan
überall dort, wo er keine Illusion brauchte, auch keine verwenden würde. Er mußte sie an
entscheidenden Orten placieren, weil sie sonst das Labyrinth
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