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Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3

Titel: Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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glanzlos und ungepflegt wirkte. Ihr Kleid war von
schäbigem Grau und paßte ihr nicht sehr gut. Ein enganliegendes Kleid jedoch hätte sie noch
molliger erscheinen lassen. Ach, wie schön war doch das Fleisch der Jugend! Sie konnte gut
verstehen, daß die alten Senatoren der Verlockung neuer Jugendlichkeit nicht hatten widerstehen
können.
Die Ironie des Ganzen lag darin, daß sie ihr jugendliches Aussehen achtunddreißig weitere Jahre
beibehalten hatte, um es danach aufzugeben. Für Pacian würde sie das noch einmal tun. Und für
Cedric hätte sie auch alles aufgegeben. Sie hatte Clotho sehr gut verstehen können, als das
Mädchen sich Samurai völlig hingegeben hatte. Wenn eine Frau einen Mann liebte...
Doch nun mußte sie ihren Sohn finden. Sie musterte ihre linke Hand: Darin befand sich eine
Handvoll abgemessener Fäden. Sie war nicht mehr Lachesis, sie konnte nicht mehr bis ans Ende der
Welt reisen. Sie war lediglich Niobe, und jeder Faden, den sie einmal verwendete, bedeutete einen
Faden weniger. Sie mußte sehr sorgfältig mit ihnen umgehen. Denn obwohl sie für den längsten,
ungünstigsten Weg durch das Labyrinth über hundertfünfzig Fäden benötigen würde, besaß sie nur
einhundert. Wenn sie sie alle aufbrauchte, ohne ihren Sohn zu finden, waren ihre Mission und ihre
Seele verloren.
Nun, das hier war mit Sicherheit ein Rätsel. Sie klopfte mit einem Fingerknöchel gegen eine blaue
Facette. Ein angenehmes Geklingel hallte durch den Raum, verursachte einen recht hübschen Klang,
doch das brachte sie nicht durch das Labyrinth.
Sie stellte fest, daß eines der Sechsecke gar keine Facette war, sondern ein offener Raum. Sie
trat hindurch, auf den goldenen Kachelboden dahinter...
Ihr Fuß durchstieß den Boden. Dahinter war nichts. Mit einem Schrei stürzte sie mehrere
Sechseckebenen in die Tiefe, bis sie auf eine weitere Goldkachel fiel. Sie war unverletzt,
steckte aber nun in einem Loch.
Aus ihrer Linken stieg ein Dampfwölkchen hervor, sie sah hin und bemerkte, daß einer ihrer Fäden
sich aufrollte, während er sich zugleich in Rauch auflöste. Dieser Sturz hatte ihr zwar keinen
Schaden zugefügt, denn einen Geist konnte man auf diese Weise nicht verwunden, aber er hatte sie
einen Faden gekostet. Nun hatte sie noch neunundneunzig Fäden übrig; zugleich hatte sie die erste
Illusion entlarvt.
Sie klopfte die Flächen ab, die sie umgaben. Alle waren aus fester Materie. Sie befand sich in
einer tiefen Kammer ohne verfügbaren Ausgang. Die glatten Facetten boten ihren Fingern keinen
Halt; sie konnte nicht an ihnen nach oben und hinausklettern.
Niobe seufzte. Sie verstaute ihre Fäden sorgfältig in einer Tasche, nur einen behielt sie
draußen. Den warf sie empor.
Nun schwebte sie nach oben, dem Fadenlauf folgend, ganz ähnlich, wie sie es als Aspekt der
Schicksalsgöttin zu tun pflegte. Einen Augenblick später befand sie sich wieder auf der
Ausgangsebene, das Gesicht dem goldenen Kachelboden zugewandt. Eine Illusion... aber um dies zu
entdecken und sich aus ihr wieder zu befreien, hatte sie zwei ihrer kostbaren Fäden verbraucht.
Zwei zu eins; Satan hatte einen ersten kleinen Vorsprung gewonnen.
Sie musterte die goldene Kachel. Noch immer sah sie wie eine richtige Kachel aus. Natürlich würde
sie darauf nicht mehr reinfallen, doch wieviel besser wäre es gewesen, die Illusion zu erkennen,
ohne in das Loch zu stürzen! Dann wäre sie einen Punkt im Vorsprung gewesen, weil sie keinen
Faden dafür verbraucht hätte, um eine der hundert Illusionen zu entlarven.
Sie befühlte den Rand der Illusion. Dort fand sie einen schmalen Stieg; ein Teil der goldenen
Kachel war also wirklich. Darauf konnte sie weitergehen, um durch das Labyrinth zu gelangen. Der
Abmachung nach mußte es einen Weg durch das Labyrinth geben. Niobe mußte nur vorsichtig vorgehen,
um nicht auf weitere Tricks hereinzufallen.
Doch würde sie nicht ans Ziel gelangen, ohne an die fünfzig ihrer Fäden aufzubrauchen. Das
bedeutete, daß sie nicht einfach die Augen schließen und sich durch das ganze Labyrinth tasten
konnte. Es würde hier Illusionen geben, die sie erst durchdringen mußte, bevor sie sich ihnen
anvertrauen konnte, und Kletterpartien, die sie, ungeachtet aller Illusionen, hinter sich bringen
mußte. Sie konnte ihre Fäden auch nicht horten, denn auf diese Weise würde sie das Labyrinth
nicht durchwandern können.
Niobe beendete ihre Umkreisung der goldenen Illusion und kam in eine neue Kammer.

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