Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
war?
Nun, wenn sie das vordere Ende beschnitt, war dies eine Katastrophe; das hatten sie auf die harte
Weise erfahren müssen.
Doch es war zu spät, um die vorderen Enden von Satans Agenten im Senat zu beschneiden. Sie hatten
sich alle bereits gründlich in den Webteppich eingefügt. Die anderen Enden, wenn diese bereits
bemessen, auf die richtige Länge geschnitten und eingewoben waren, sollte es eigentlich nicht
möglich sein, sie abzuschneiden. Und doch konnte man sie offensichtlich beschneiden.
Atropos würde das zwar niemals tun, wegen des Schadens, den dies dem Gewebe zufügen würde,
aber...
Sie war irgend etwas auf der Spur. Wenn Lachesis einen Faden bemaß, bestimmte sie damit sein
Potential. Doch nicht alle Fäden lebten ihr Potential auch aus. Manche brachen früh und gingen
verloren. Die Sterblichen hielten das für Selbstmord, für ein Abschneiden, das vom Betreffenden
selbst in die Wege geleitet wurde. Normalerweise verhinderte dies der Instinkt der
Selbsterhaltung, doch wenn dieser Instinkt zusammenbrach...
Und das war es auch. Niobe blickte Satan ins Gesicht. »Wenn Atropos einen Faden außerhalb der
Reihe abschneidet, nachdem er bemessen und in den Teppich eingewoben wurde, dann wird dieser
Faden enden, trotz des Schicksals, das Lachesis ihm zugeteilt hat. Ein nicht vom Schicksal
bestimmtes Ende ist der Selbstmord. Was Atropos dabei tatsächlich tut, besteht darin, den
Existenzimpuls der betreffenden Person zu beenden, ihren Selbsterhaltungstrieb zu beseitigen.
Ohne diesen Instinkt, ohne diesen Trieb, wird der Durchschnittsmensch der üblichen Enttäuschungen
des Lebens bald überdrüssig und sich dazu entscheiden, es statt dessen mit dem Jenseits zu
versuchen. Vor allem dann, wenn er glaubt, daß er in den Himmel gelangen wird, oder wenn man ihm
eine bevorzugte Behandlung in der Hölle versprochen hat.«
»Ich behandle Selbstmörder nicht besser als andere!« rief Satan und seine Flammen erhellten sich
zornig.
»Aber du hast jenen, die auf Erden deinen Willen tun, eine bevorzugte Behandlung versprochen«,
sagte Niobe.
»Beispielsweise jenen, die dazu bestimmt sind, die Senatoren abzulösen, die nun ihre
wiedergewonnene Jugend genießen wollen. Nun, manche von diesen Leuten könnten früher bei dir
eintreffen, als du es vorgesehen hast.«
»Wenn sie das tun, werde ich sie auf doppelte Folter setzen!« tobte Satan. »Ich brauche sie auf
der Erde.«
»Ja, ungefähr zwanzig Jahre lang«, bestätigte Niobe. »Doch wenn Atropos ihre Fäden vorzeitig
beschneidet, so daß sie ihren unbändigen Überlebenswillen verlieren, dann werden sie nicht viel
Lust verspüren, ihre ganze Zeit damit zu vergeuden, auf ihre Belohnung zu warten.«
»Es gibt keine Belohnung.«
Satan war inzwischen schon fast gänzlich von Flammen umhüllt.
»Wenn dem so ist, warum sollten sie dann in dein Verlangen einwilligen?« fragte sie ihn
zuckersüß. »Du wirst sehr viel Schwierigkeiten haben, die gewünschten Stimmen zu erhalten, wenn
diese Leute erst einmal merken, daß deine Versprechungen wertlos sind.«
»Du bluffst nur!« rief Satan. »Du würdest nicht deine eigenen Fäden verleugnen!«
»Um die Menschheit zu retten?« fragte sie. »Ich selbst würde es vielleicht nicht tun... aber ich
hege doch den Verdacht, daß die praktisch gesinnte, alte Atropos es täte.«
»Darauf kannst du wetten«, rief Atropos aus dem Publikum.
»Und ohne diese gekauften Stimmen wird die Entscheidung in zwanzig Jahren den dann
vorherrschenden Mächten überlassen sein und meine Enkelin Luna wird die Abstimmung
gewinnen!«
Satan antwortete nicht. Er stand da, böse funkelnd vor Zorn, während der Feuerkreis sie beide
immer enger umschloß. Endlich entzündete er den letzten Dämon, den Magier. Als das Dämonabbild in
Flammen aufging, stand plötzlich ihr Sohn in seiner natürlichen Gestalt da. Ein träges, grimmiges
Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Dann umhüllten die Flammen sie und ließen den Rest der Hölle verschwinden. Doch Niobe verspürte
keine Hitze.
Einen Augenblick später wurde die Luft wieder klar. Die Hölle war verschwunden und mit ihr das
Publikum. Sie stand in Mars' Burg, wo sie diese merkwürdige Herausforderung angetreten hatte. Sie
befand sich wieder in ihrem physischen Körper, ihre Seele war als Aspekt der Schicksalsgöttin in
Sicherheit. Vor ihr stand Mars, und sein Lächeln war dem des Magiers äußerst ähnlich.
Du hast es geschafft! rief Clotho in Gedanken und gab ihr
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