Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
war, doch schon
bald erkannte sie, daß dies nicht so weitergehen konnte. Zum einen wurde sie nicht älter,
vielmehr war ihr Alter bei dreiundzwanzig eingefroren, und dies würde früher oder später
auffallen. Außerdem wollte sie nicht, daß Junior sich an ihre Gegenwart gewöhnte. Es war besser,
daß er sie vergaß und sich voll und ganz auf seine neue Familie konzentrierte. Zudem war es
offensichtlich, daß der junge Vetter Pacian von ihrem Anblick wie benommen war. So etwas
passierte häufiger bei Heranwachsenden; das war einer der Preise der Schönheit. So hielt sie es
für besser, sich fernzuhalten.
Dennoch wollte sie persönlichen Kontakt mit ihrem Sohn aufrechterhalten, also bat sie Atropos,
als großmütterliche Freundin aufzutreten, die gerade Verwandte in der Gegend besuchte und Kinder
mochte. Auf diese Weise wurde sie sogar von Pacian akzeptiert. Als die Jahre vergingen, und
Junior zu einem recht lebhaften Kind wurde, entwickelte sich Pacian zu einem hochgewachsenen und
erstaunlich attraktiven Teenager. Nun nahm Atropos sie in komische Opern mit und in
Theaterstücke, die für alle Altersgruppen geeignet waren. Da Atropos sich auf diesem Gebiet sehr
gut auskannte, fand sie stets die richtigen Stücke, und alles funktionierte wunderbar.
Beide Jungen genossen es, und Pacians Eltern sahen es mit Wohlwollen. Auch Atropos begann die
Gesellschaft der beiden Jungen zu mögen, so daß alle Beteiligten etwas davon hatten.
Aber dann trat ein Ereignis ein, das alle erschütterte. Junior war sechs Jahre alt und Pacian
achtzehn, als sie mit Atropos das alljährliche Volksfest besuchten. Gemeinsam zogen sie über den
Jahrmarkt, versuchten sich an Geschicklichkeitsspielen, aßen Zuckerwatte und ritten auf einer
kleinen Zirkussphinx. Sie schauten sich eine Zaubervorführung an, bei der mit einigen Tricks
gearbeitet wurde, damit die Magie etwas eindrucksvoller wirkte, als sie in Wirklichkeit war, und
betrachteten zwei Chorabschnitte des Tanzes der Nymphen gegen die Satyrn. Wenngleich der Tanz
recht anzüglich war, wirkte er doch nicht sonderlich aufregend. Zwar waren die Nymphen und Satyrn
echt, doch bei einem Dutzend Auftritte am Tag verloren sie verständlicherweise etwas von ihrem
Elan. Dennoch fielen dem kleinen Junior beinahe die Augen aus dem Kopf; eigentlich hätte er gar
nicht hier sein dürfen, doch die Kontrollen waren lasch und er hatte versprochen, zu Hause nichts
zu erzählen. Niobe selbst hatte eigentlich ernste Einwände gehabt, doch Atropos hatte sie
beiseite gewischt: »Der Junge interessiert sich für Magie, und das ist nun einmal einer der
Aspekte der Magie. Es ist ja nicht so, als hätte er in seinem Leben noch nie eine Nymphe
gesehen.«
Dann kamen sie an einem Wahrsagestand vorbei.
»He, sag mir die Zukunft voraus!« rief Junior. Jede Form von Magie zog ihn an.
»Ach, ist doch wahrscheinlich sowieso nur gelogen«, meinte Pacian.
»Das kann ich für euch überprüfen, wenn ihr wollt«, warf Atropos ein.
Was tust du da nur? sandte ihr Niobe ihren Gedanken. Die Wahrsagerin wird dich
erkennen!
»Also gut, dann wollen wir sie mal prüfen«, meinte Pacian, der gerne Betrügereien entlarvte.
Junior klatschte entzückt in die Hände.
Sie gingen hinein, und Atropos bezahlte die Wahrsagerin. Die Frau sah sie an, dann erbot sie
sich, das Geld zurückzugeben. »Willst du mich narren, Unsterbliche?« wollte sie Wissen. »Du weißt
genau, daß ich das Schicksal deinesgleichen nicht lesen kann.«
»Sie ist echt«, berichtete Atropos und schob ihr das Geld wieder zu. »Tu es für die beiden
Jungen, die sind sterblich.«
»Du bist unsterblich?« fragte Pacian und blickte Atropos an.
»Ich bin zwar alt, werde aber nicht ewig leben.« Diese Erklärung befriedigte ihn zwar nicht ganz,
doch er ließ sie gelten. »Also gut. Dann sag uns beiden die Zukunft voraus! Mir und meinem
kleinen Bruder hier.« Er hob Junior auf den Tisch der Seherin. »Wen werden wir heiraten, und
werden unsere Kinder berühmt werden?«
»Zeigt mir eure Hände«, sagte die Seherin. Sie nahm Juniors rechte und Pacians linke Hand und
schloß die Augen. Einen Augenblick später öffnete sie sie wieder. »Huch!« rief sie. »Ein höchst
ungewöhnliches Paar!«
Niobes Interesse wuchs. Was sah die Seherin dort? »Jeder wird die schönste Frau ihrer Generation
besitzen, die ihm die talentierteste Tochter ihrer Art gebären wird«, sagte die Seherin im
Singsang.
»Beide Töchter stehen quer zum verhedderten
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