Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
dafür aber gezeugt, und in diesem Sinne besaß er sie auch. Blenda war das
Gespräch des ganzen Landbezirks.
Junior führte nun das Leben eines Einzelkindes, weil Pacian und Blanche ausgezogen waren. Das war
für ihn eine große Umstellung, denn er hatte sehr an seinem Vetter gehangen. Er wußte, daß sein
natürlicher Vater tot und seine Mutter fort war, doch er gehörte zur Familie des Vetters. Er
wurde in sich gekehrt und beschäftigte sich noch stärker mit seiner Magie. Es tat Niobe zwar in
der Seele weh, doch konnte sie nichts dagegen tun. Atropos schien die Sache noch schwerer zu
verkraften. Die alte Frau hatte den Jungen wirklich ins Herz geschlossen, und ihre gemeinsamen
Abenteuer fehlten ihr.
Vielleicht war es kein Zufall, daß Atropos sich dazu entschied, ihr Amt als Aspekt der
Schicksalsgöttin aufzugeben. »Ich habe genug von der Unsterblichkeit«, sagte sie.
Lachesis untersuchte das Gewebe und entdeckte eine verwitwete Großmutter, die für ihre Zwecke
geeignet war. Sie suchten sie in der Gestalt der Atropos auf. Die Frau hörte ernst zu, während
Atropos ihr Anliegen vorbrachte und alles erklärte. »Aber wenn das, was du sagst, wirklich
stimmt, dann werde ich doch dadurch unsterblich und du stirbst an Altersschwäche!« warf die Frau
ein. »Was hast du für ein Interesse an einem solchen Geschäft?«
»Es stimmt, daß ich als Sterbliche nicht lange überleben werde«, pflichtete Atropos ihr bei.
»Aber ich habe fünfzehn Jahre über meine Zeit hinaus gelebt und fürchte mich nicht vor dem Leben
danach. Ich weiß, daß ich wohlgetan habe und in den Himmel kommen werde, wenn die Zeit gekommen
ist.«
Sie zeigten der Frau ihre beiden anderen Gestalten, und sie war ordentlich beeindruckt. »Soll das
heißen, daß ich wieder so jung sein und so aussehen kann? Noch nie habe ich eine solch schöne
Frau gesehen!«
Im Augenblick bestimmte Niobe über den gemeinsamen Körper. »Du kannst mit mir teilen«, erklärte
sie.
»Aber dann werde ich darüber bestimmen, während du zuschaust, und umgekehrt ist es genauso. Doch
nach einer Weile überschneiden wir einander, und so werden wir tatsächlich zu einer einzigen
Person mit unterschiedlichen Gestalten. In diesem Sinne kannst du auch zu mir werden, wenn du
willst.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich bin sehr erstaunt, laßt mich darüber erst einmal
nachdenken.«
Sie dachte eine Woche nach, dann brachte sie alles in Ordnung und wurde zur Schicksalsgöttin. Der
Übergang verlief reibungslos, wenngleich die alte Atropos nicht ohne Tränen schied.
Es dauerte eine Weile, bis die neue Atropos in ihr Amt eingeführt worden war und sie einander gut
kannten. Der Übergang brachte eine Menge Arbeit mit sich, was immer hin bewirkte, daß Niobe für
eine Weile von Junior abgelenkt wurde, denn nun konnte sie die Sterblichen lediglich in
dienstlichen Geschäften aufsuchen.
Als Niobe Junior tatsächlich wieder einmal besuchte, mußte sie es in ihrer eigenen Gestalt tun,
denn die neue Atropos interessierte sich nicht dafür. Lachesis hätte ihr zwar geholfen, doch
beschlossen sie, diesen Aspekt für den Notfall aufzuheben, falls es nämlich erforderlich sein
sollte, schnell die Identität zu wechseln. Also legte Niobe eine Perücke an und machte sich mit
Makeup künstlich älter. Sie entdeckte, daß die frühere Atropos sich inzwischen in Irland
niedergelassen hatte und Junior nun als Sterbliche besuchte. Da entschied Niobe, die Sache dabei
zu belassen. Atropos mochte den Jungen wirklich und würde schon dafür sorgen, daß ihm kein Unheil
widerfuhr. Die Zeit verging, und Junior wurde erwachsen. Als er auf dasselbe College ging wie
sein Vater, spezialisierte er sich dort auf Magie und bewies ebensolche Brillanz. Bald wußte er
mehr als seine Professoren. In seiner Dissertation entwickelte er den Zauber, der das Rotwild
befähigte, auf Jäger zurückzuschießen: Jedes Geschoß, von einem Bogen, einem Gewehr oder von Hand
abgefeuert, machte auf seiner Flugbahn kehrt und traf dafür den Jäger. Plötzlich verlor die Jagd
ihren Reiz, nicht nur in den örtlichen Feuchtgebieten, sondern in sämtlichen Feuchtgebieten und den meisten verbliebenen Wildnissen der Welt. Auf ähnliche Weise wurden
Baufirmen daran gehindert, unberührte Natur zu zerstören, denn ihre Bulldozer wurden rumpelnd an
ihren Startpunkt zurückgeworfen. Junior bekam die Note Summa cum laude dafür, und die
Bauindustrie verklagte das College. Am Ende mußten beide Seiten
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