Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
lediglich eine Aufgabe zu erfüllen, die der sterbliche Mensch nicht richtig verstehen oder
schätzen konnte.
Niobe jedoch war keine gewöhnliche Sterbliche mehr, sie konnte den Gesamtzusammenhang begreifen
und ebenso, was Satan ihr tatsächlich angetan hatte. Mit dem hatte sie noch eine Rechnung
offen!
Das Problem war nur, daß sie nicht wußte, wie sie in dieser Sache vorgehen sollte. Satan besaß
keinen eigenen Webteppich, sie konnte seine Fäden nicht durcheinanderbringen. Sie gelangte zu dem
Schluß, daß das, was Satan dazu geführt hatte, Einwände gegen Clotho als Schicksalsgöttin zu
haben, sich noch nicht manifestiert hatte und daß sie die Genugtuung nur dann finden würde, wenn
sie im Amt blieb.
Irgendwann würde ihre Chance schon kommen und dann würde sie sie auch packen. Bis dahin blieb ihr
nichts anderes übrig, als geduldig zu sein.
Mit der Zeit wurde die Alltagsarbeit jedoch langweilig. Dafür wurden die Beziehungen zu den
anderen Inkarnationen, Satan eingeschlossen, interessanter. Niobe liebte Chronos nicht, aber er
war so dankbar für die Gefallen, die sie ihm tat, daß dies für sie eine Freude eigener Art
wurde.
Sie, oder genauer Lachesis, mußte ziemlich häufig mit ihm zusammenarbeiten, denn nur Chronos
konnte die Schlüsselereignisse eines bestimmten Lebens zeitlich genau ausmachen, die Knickstellen
in jedem Schicksalsfaden. Außerdem war es besonders wichtig, daß Atropos Chronos vom genauen Ende
jedes Fadens unterrichtete, weil Chronos wiederum die Uhr programmierte, welche Thanatos bei der
Arbeit trug.
Doch auch dies wurde mit der Zeit langweilig.
Aus diesem Grund pflegten die unterschiedlichen Aspekte der Schicksalsgöttin die Sterblichen
unmittelbar aufzusuchen, wenn ihre Zeit es ihnen erlaubte. Sie mischten sich anonym unter die
Menschenmengen und taten so, als würden sie von der Arbeit nach Hause gehen oder Urlaub machen
oder irgendwelche Geschäfte verfolgen. Die Menschen nahmen die Inkarnationen nur selten als
solche wahr und vergaßen sie sehr schnell wieder, so daß die ganze Sache nicht sonderlich
schwierig war. Jeder Aspekt besaß seine bevorzugten Gegenden auf der Welt, die er aufzusuchen
liebte. Es war eine Art Urlaub.
Lachesis ging gerne in Spezialitätenrestaurants und genoß gutes Essen. Die Inkarnationen hatten
noch immer ihre natürlichen Funktionen, einschließlich das Bedürfnis nach Nahrung. Zwar würden
sie aufgrund ihrer Unsterblichkeit nicht verhungern, wenn sie nichts essen sollten, doch würde
ihnen dies mit der Zeit immer unangenehmer werden. Im Fegefeuer gab es alles, was sie brauchten,
doch hatte es seine eigene Atmosphäre, wenn man solche Dinge unter den Sterblichen erledigte. Die
männlichen Inkarnationen, so berichtete Lachesis augenzwinkernd und schelmisch, gingen manchmal
ihren anderen Gelüsten mit sterblichen Frauen nach, wenngleich sie darauf achten mußten, die Lage
keines Schicksalsfadens dabei zu verändern. Eine Inkarnation konnte kein Kind zeugen, weil sie
nicht älter werden konnte - ein solches Baby würde niemals über das Einzellerstadium
hinausgelangen -, doch war dies ja nicht die einzige Möglichkeit, um einen sterblichen Menschen
zu berühren. Einmal hatte Mars eine Beziehung zu einer sterblichen Amazone angeknüpft - er hatte
eine Schwäche für gewalttätige Frauen -, worauf deren Schicksalsfaden seinen Lauf verändert
hatte. Diese Affäre überlagerte eine andere, die sie sonst mit einem Sterblichen gehabt hätte und
aus der Nachwuchs hervorgegangen wäre. Lachesis hatte ihm aus der Klemme helfen müssen. Sie hatte
den Faden bemessen, aber keine andere Möglichkeit gefunden, ihn so zu verknüpfen, daß das Baby
kommen konnte. Das notwendige Zusammentreffen hatte einfach nicht stattgefunden. Sie hatte in
scharfem Ton mit Mars darüber gesprochen und ihn dazu gezwungen, die Affäre abzubrechen, damit
die natürliche Ordnung wieder ihrem Lauf folgen konnte. Dann hatte sie den neuen Faden ein
Stückchen weiter in der Zukunft verknüpft. Clotho hatte Mars die Sache versüßen müssen, bis er
eine neue Sterbliche gefunden hatte, mit der er anbändeln konnte. Es war ein kleiner Skandal
gewesen.
Atropos zog es vor, Konzerte, Opern und Theaterstücke zu besuchen. Tatsächlich hatte sie sogar
eine Loge an einem berühmten Theater abonniert. Niobe bekam all dies mit und konnte auf diese
Weise ihre Bildung ein wenig verfeinern.
Niobe selbst pflegte ihren Sohn zu besuchen. Zuerst kam sie stets so, wie sie
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