Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
darf. Ich würde alles dafür tun, daß dieser gewissen Person
kein Leid zugefügt wird... besonders in Hinsicht auf das recht lockere Gebaren, das Adlige bei
ihren Liebschaften an den Tag zu legen pflegen. Ich denke, bevor das Kind in den Brunnen gefallen
ist...«
Er sah Mym streng an.
Mym nickte entschlossen. Er durfte die Sache nicht mehr länger hinausschieben.
Sie redeten miteinander, als die Zirkuskarawane nördlich von Ahmedabad den schlimmen Regenguß
abwartete. In Orbs Wagen war es angenehm und gemütlich, während die Tropfen an Dach und Wände
trommelten. Zuerst erzählte Orb ihm ihre Geschichte, denn sie wollte, daß er alles von ihr
wußte.
Orb war vor zwanzig Jahren in Irland auf die Welt gekommen und zusammen mit einem Mädchen namens
Luna aufgewachsen. Mym wurde nicht recht schlau daraus, in welchem Verwandtschaftsverhältnis die
beiden zueinander standen. Es kam ihm so vor, als seien Orbs Eltern die Großeltern von Luna, doch
die beiden Mädchen hatten sich wohl zueinander wie Zwillinge verhalten. Luna malte mit einem
Zauberpinsel, den ihr der Bergkönig geschenkt hatte. Orb sang zur Harfe, die sie vom Bergkönig
erhalten hatte.
Dieses goldene Instrument verlieh ihr auch Macht über das Publikum. Auch ihr Vater besaß ein
solches Talent, doch bei ihm zeigte sich die Magie nur, wenn er körperlichen Kontakt zu der
Person hatte, der er etwas vorsang.
Aber wie sei sie denn von Irland ausgerechnet nach Indien geraten? wollte Mym nun von ihr wissen.
Mit ihrem zauberhaften Talent könnte sie doch überall auf der Welt die Zuhörer begeistern, da
brauchte sie doch nicht so abgelegene Länder wie dieses aufzusuchen.
Sie suche nach einem Lied, antwortete sie. Dieses Lied hieße das Llano, und es sei das
wunderbarste Lied, das je auf der Erde vernommen worden wäre. Leider sei es nur schwer
aufzuspüren und noch schwerer zu singen. Es erfordere die ganze Kraft des Sängers, und so konnten
in jeder Generation nur einige wenige seiner habhaft werden. Orb hielt sich für geeignet, dieses
Lied zu singen. Zumindest wollte sie es versuchen. Hinzu kam, daß dieses Lied es wie kein anderes
verstand, den Zuhörer zu entzücken. Orb glaubte, daß ihr Schicksal und dieses Lied untrennbar
miteinander verbunden wären; denn wer die Weise bis zu ihrer Quelle verfolgen konnte, würde dort
den Weg zu einer ganz neuen Erfüllung finden.
»Ich habe von einem solchen Lied gehört«, erklärte Mym langsam. Er schilderte dann, wie die
Offenbarung des Llano Wunder bewirken könnte.
Einmal habe eine junge Frau sich unsterblich in einen großen Kriegsmann verliebt. Aber da sie von
geringerer Geburt war, nahm der Recke sie gar nicht wahr. Eines Tages dann sang sie ihm nur eine
Strophe des Llano vor, und der Kriegsmann war von Stund' an wie verzaubert und liebte die junge
Frau von ganzem Herzen.
Orb gefiel diese Geschichte. »Natürlich kommt so etwas im richtigen Leben nie vor«, bedauerte
sie.
»Doch, es könnte möglich werden«, versicherte er ihr. Sie sah ihn an und verstand. »Ich... aber
natürlich seid Ihr kein Prinz.« Sie wollte dieses Thema verlassen, bevor die Schmerzen zu groß
würden. »Nicht, daß mir das etwas ausmachen würde, Mym. Ich... ich mag Eure Nähe sehr, auch
wenn...«
Er unterbrach sie, bevor sie etwas sagen konnte, das sie später bereuen würde. »I-i-ich...« Das
Stottern war nun schlimmer als je zuvor. Er bekam überhaupt kein Wort mehr über die Lippen.
Orb legte ihre Hände auf seine. »Es macht wirklich nichts, Mym.«
Er schüttelte trotzig den Kopf. Natürlich machte es etwas aus. Aber nicht einmal das konnte er
sagen.
Plötzlich lächelte sie warm. »Ich habe gehört, daß in bestimmten Fällen, besonders in Fällen wie
dem Euren... Mym, könnt Ihr singen?«
»Si-i-inge-e-en?« stammelte er verblüfft.
»Wenn ich es recht verstanden habe, ist für das Singen ein anderes Gehirnzentrum zuständig.
Manche Stotterer können klar und deutlich singen, auch wenn sie mit der Sprache die größten
Schwierigkeiten haben. Kommt, laßt es uns versuchen!« Sie stimmte eines der Lieder aus ihrer
Heimat an:
» O Danny boy, the pipes, the pipes are calling From glen to glen, and down the
mountain side.« Zögernd fiel er ein:
»And front the trees, the leaves, the leaves are falling From 'Tis you, 'tis you
must go and I must bide.« Sie hielten beide inne und waren völlig erstaunt.
Er hatte nicht nur gesungen, ohne einmal zu stocken, seine Stimme hatte auch klar und wohl
Weitere Kostenlose Bücher