Inkarnationen 05 - Sing ein Lied fuer Satan - V3
frei für mich entscheiden.«
Frei entscheiden! Pah! Wie könnte sie denn nein sagen? »Du darfst mich umarmen.«
»Darf ich dich auch küssen?«
»Ja.«
Er umarmte sie, und als er sie küßte, verspürte sie die alte Leidenschaft für ihn, die sie bis zu
seiner furchtbaren Offenbarung für ihn empfunden hatte.
»Bin ich nun verdammt?« fragte sie später.
»Eine Inkarnation kann nicht verdammt sein. Doch selbst, wenn du noch eine Normalsterbliche
wärst, müßtest du nicht um dein Seelenheil fürchten. Denn deine Motive sind edel und gut. Und
schließlich heiratest du mich nur, um die Welt zu retten, nicht wahr?«
»Ja, aber auch, weil ich dich liebe.«
»Die Liebe ist das letzte, der die Hölle blühte.«
Satan hatte für die Hochzeit einiges aufgeboten.
Die Hölle war in eine Kathedrale umgewandelt worden, deren Kuppeldecke so hoch reichte, daß
Wolken unter ihr schwebten. Alle Wände und Fenster waren reich verziert und zeigten Abbildungen
von irdischen Mythen.
Außerdem war ein Podium aufgestellt worden, auf dem im Halbkreis sieben edle Stühle standen, die
die Symbole der verschiedenen Inkarnationen aufwiesen.
Orb nahm dies alles nur am Rande wahr. Sie trug ihr Brautgewand und erwartete duldsam den Beginn
der Zeremonie.
Plötzlich begannen sich die Bänke zu füllen. Alle Menschen, die Orb kannte und gekannt hatte,
fanden sich ein. Die Spielkameraden aus der Jugend, die Lehrer, die Freunde, die Verwandten und
selbst die, die sie nur flüchtig kennengelernt hatte.
Als sie ihren Vater Pacian entdeckte, wäre sie am liebsten zu ihm gerannt. Doch dann beherrschte
sie sich. Sie war die Braut und hatte der Eheschließung zugestimmt. Also mußte sie ihre Rolle
spielen und an ihrem Platz bleiben.
Vermutlich waren die Toten dort unten nichts weiter als eine Illusion.
Die Inkarnation betraten die Kathedrale und nahmen auf ihren Stühlen Platz. Nur Gäas Stuhl blieb
aus verständlichen Gründen frei.
Aber auch der Sitz von Gott blieb unbesetzt. Man hatte ihn zwar eingeladen, aber wie stets nahm
Er keinen Anteil am Treiben der Menschen, und seien es auch Inkarnationen. Orb sagte sich, daß Er
ohnehin kein großes Interesse an einer Trauung haben konnte, die ihm Schaden zufügen
sollte.
Orb dachte an Gott. Könnte Er nicht etwas unternehmen? Konnte Er nicht wenigstens dieses eine Mal
eingreifen? Konnte Er nicht um Seiner Machterhaltung willen etwas tun?
Und was sollte Er tun? Feuer auf diese Kathedrale regnen lassen? Nein, so etwas entsprach nicht
seiner Art.
Orb wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Mym sich erhob und auf sie zukam. Die Zeremonie nahm
ihren Anfang.
Ein Chor erschien. Orb dachte im ersten Moment, eine Gruppe Kinder sei gekommen. Dann erkannte
sie, daß es kleine Dämonen waren. Jeder von ihnen trug eine weiße Robe und hielt ein Gesangbuch
in den Händen.
Sie begannen zu singen, und kein Engelschor hätte schöner singen können.
Unruhe entstand im Chor. Irgend etwas Seltsames ging dort vor. Orb, die sich im Gang befand,
spähte genauer hin: Einzelne Dämonen lösten sich auf und wurden von anderen ersetzt.
»Bist du bereit, Orb?« fragte Mym und hielt ihr seinen Arm hin.
»Ja, trotz der Schmetterlinge im Bauch«, erklärte sie und lächelte tapfer. »Aber was geht denn da
im Chor vor sich?«
»Sie singen wie Engel«, antwortete er. »Und so etwas bekommt einem Dämon nicht.«
»Werden sie bestraft, weil sie hier singen müssen?«
»Normalerweise kann ein Dämon nichts Engelsgleiches tun. Doch für den heutigen Anlaß hat Satan
einen Dispens erteilt. Wenn ein Dämon sich wie ein Engel verhält, überschreitet er irgendwann
seine Grenzen und gelangt dadurch eine Stufe höher. Er wird zur verdammten Seele. Deshalb geben
diese Kreaturen sich besondere Mühe. Und viele warten schon, um den Platz von denen einzunehmen,
die sich aufgelöst haben, also zur verdammten Seele geworden sind.«
»Dann meint es Satan wohl wirklich ernst?«
»Es hat den Anschein, als wollte er es an nichts mangeln lassen. Vielleicht plagt ihn auch die
Sorge, jemand könnte versuchen, diese Ehe annullieren zu lassen, falls er etwas versäumt oder
ausgelassen hat.«
»Warum bist du eigentlich gekommen und spielst auch noch den Brautvater, wenn dir diese
Vermählung nicht behagt?«
»Wir haben ein Abkommen geschlossen. Und außerdem verdienst du meine ganze Unterstützung. Ich
werde dich zu einer solchen Stunde doch nicht allein lassen.«
Sie lächelte. »Ich denke, wir dürfen nicht länger säumen.« Sie
Weitere Kostenlose Bücher