Inkarnationen 05 - Sing ein Lied fuer Satan - V3
noch mehr über den Umstand, daß sie nun an der Reihe
war.
Sie beschloß, die Dryade nicht von ihrem Vorhaben abzubringen, indem sie sie auf ihren Fehler
hinwies: Luna war nicht Orbs Schwester, sondern ihre Nichte. Sie erklärte Luna rasch, was die
Nymphe gesagt hatte, und ihre Nichte hatte gar nichts dagegen einzuwenden. Orb warf ihr noch
einen Blick über die Schulter zu und sah, wie Luna Figuren in der Luft zeichnete.
»Kannst du singen?« fragte die Dryade Orb.
»Ja, aber nicht so wie mein Vater.«
»Nun, auch du mußt deine Gefühle einbringen. Du mußt das Lied fühlen. Die Magie wirkt um so
stärker, je mehr Wunsch und Gefühl der Betreffende in sie legt. Das ist sicher einer der Gründe,
warum die meisten Menschen keinen Zugang zur Magie haben. Sie wollen sie nicht, wollen damit
nichts zu tun haben, auch wenn sie sich dessen nur selten bewußt sind.«
»Aber Mutter hat auch keine Magie«, widersprach das kleine Mädchen und glaubte, damit die Dryade
eines Fehlers überführt zu haben.
»Niobe besaß mehr Magie als die meisten anderen«, antwortete die Hamadryade. »Sie hat sie
aufgegeben, um deinen Vater zu heiraten. Nun solltest du aber versuchen, deine Gefühle zu
konzentrieren.«
Orb fing an zu summen und nahm sich nach Kräften zusammen. Nichts geschah. »Es geht nicht«, sagte
sie kläglich. »Warum klappt es bei Luna und bei mir nicht?«
Doch bevor die Nymphe antworten konnte, erklang von unterhalb des Baumes Musik. Alle drei hielten
inne und spähten durch die Blätter auf das Sumpfland.
Die Musik ertönte von einem Pfad und wurde ständig lauter. Eine Geige fiedelte, und dann trat der
Mann ins Blickfeld, der sie spielte; ein Mann in einer bunten Bluse und dunklen Hosen. Das
glänzende schwarze Haar fiel ihm bis auf die Schultern, und er hatte durchdringende, pechschwarze
Augen. Hinter ihm tanzte eine junge Frau in einem grellroten Rock. Sie trug ein Tuch auf dem
Kopf, aber weder Hemd noch Bluse. Viele Ringe steckten an ihren Fingern, und die langen Ohrringe
berührten ihre blanken Brüste. Bei jeder ihrer Bewegungen blitzte und funkelte sie in einem
anderen Rhythmus.
Den beiden folgten andere Personen, die ebenso bunt gekleidet waren. Zwei spielten Mandoline, und
andere bedienten kleine Schlaginstrumente, die Orb noch nie gesehen hatte. Aber alle tanzten,
hüpften und sangen. Als sie den Baum erreichten, bildeten sie einen Kreis um ihn.
Eine uralte Frau trat vor. »Da!« rief sie schrill und zeigte direkt auf Orb und Luna. »Zwei
magische Kinder!«
»Zigeuner!« entfuhr es der Hamadryade. »Ich habe schon von ihnen gehört. Seht euch vor, sie
stehlen Kinder!«
Nun trat auch der Geigenspieler vor. »Der Seherin bleibt nichts verborgen«, erklärte er. »Kommt
herunter, Kinder. Wir würden gern eure Magie sehen.«
»Verzieht euch, ihr Nichtsnutze!« rief die Nymphe. »Diese Kinder sind nicht für euch
bestimmt!«
»Oho!« lachte der Mann. »Seht nur, eine Dryade! Nun hör mir gut zu, Baumgeist, die Angelegenheit
hier geht dich nichts an, also halt dich da raus! Wir wollen nur die Kinder.«
»Die kriegt ihr aber nicht«, zischte die Dryade.
»Wenn du nicht sofort still bist, hacken wir deinen Baum ab«, drohte der Geigenspieler. Die
Hamadryade stieß einen Entsetzensschrei aus und ballte gleichzeitig zornig die Fäuste.
»Wie kommt es, daß er sie hören kann, ich aber nicht?« fragte Luna verwundert und leicht
empört.
»Klettert hinauf und holt die zwei Kinder«, befahl der Mann. Zwei kräftige junge Burschen
verließen den Kreis und stiegen behende den Stamm hinauf.
Nach wenigen Augenblicken hatten sie den Wipfel erreicht und streckten die Hände aus. Die beiden
Mädchen hockten wie erstarrt in dem hintersten Ast.
Aber als die Hände der Zigeuner in die Nähe der Menschen kamen, blieben sie wie festgefroren in
der Luft hängen. Die Finger ließen sich einfach nicht mehr bewegen.
»Nun macht schon!« schimpfte der Anführer. »Wir wollen hier nicht ewig bleiben.«
»Es geht nicht!« keuchte einer der beiden Burschen und konnte sich nicht einmal umdrehen.
»Was soll das heißen? Seid ihr denn zu dumm dazu?« schimpfte der Mann hinauf. »Es sind doch nur
zwei kleine Mädchen!«
»Sie tragen Amulette«, schnaufte der andere Bursche.
»Hm, das hätte ich mir denken können. Kinder von solchem Wert stehen unter einem besonderen
Schutz. Na ja, es gibt immer noch andere Wege. Kommt einstweilen wieder herunter.«
Die beiden Burschen ließen sich einfach aus dem Wipfel fallen
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