Inkarnationen
zu werden, war stärker als alle Bedenken über die ungeheuerliche Anmaßung, derer er sich mit seinem Verhalten schuldig machte.
Schließlich gefiel er sich so sehr in seiner »göttlichen« Rolle, daß er etwas wie Zweifel oder gar Schuld nicht mehr kannte. Neue Dinge gediehen an deren Stelle in ihm.
Dinge wie Arglist und Niedertracht den Seinen gegenüber.
Noch hatten sie Luzifer nicht offen zur Rede gestellt ob seines Tuns, und schon gar nicht hatten sie versucht, seinem Treiben Einhalt zu gebieten. Aber er wußte, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis sie es taten.
Also galt es ihnen zuvorzukommen. Und so ersann Luzifer einen Plan, der, wenn er gelang, dafür sorgen würde, daß die Seinen ihm niemals würden in die Quere kommen können--- Luzifer hatte die Sphäre, die Gott ihnen vor seiner Abkehr zugewiesen hatte, nicht auf immer verlassen, obwohl er das Gros seiner Zeit auf Erden zubrachte, seit er sich dort zum Tyrannen über die Völker aufgeschwungen hatte.
In jenen Tagen jedoch, da er seinen Plan verfolgte, wechselte er recht häufig von hüben nach drüben. Er tat es ganz in der Weise, wie es seit jeher Usus war, schuf also einen Durchgang in der Grenze zwischen den Welten, beschritt ihn und verschloß ihn hinter sich wieder, indem er gewissermaßen die Öffnung energetisch versiegelte.
Allerdings ließ Luzifer jedes Mal ein klein wenig mehr seiner Kraft in die Barriere fließen, als nötig gewesen wäre, um nur den Durchgang zu verschließen.
Und so wurde der Wall, der die Sphäre von der Menschenwelt trennte, stetig stabiler, unmerklich nur, aber irgendwann würde der Punkt erreicht sein, da sie undurchlässig wurde.
Und nichts und niemand würde dann mehr von hier nach dort wechseln können.
Die Seinen würde Luzifer in ihrer eigenen Welt eingekerkert haben. Und die Welt der Menschen würde endlich und unangefochten ihm allein gehören!
*
Luzifers Plan schien von perfider Genialität. Er hatte nur einen Fehler: Er bezog unsere Unaufmerksamkeit als festen Faktor ein, beruhte also darauf, daß wir seinem Treiben weiterhin tatenlos zusehen würden.
Nun, eine Zeitlang, die den Menschen eine kleine Ewigkeit bedeuten mochte, taten wir das auch. Was indes nicht hieß, daß wir sein Verhalten befürwortet oder auch nur hingenommen hätten.
Unsere Gespräche drehten sich in dieser Zeit fast ausnahmslos um Luzifers Eigenmacht, und wir sprachen lange darüber, was wir nun zu tun hätten.
Einige der Unseren vertraten die Ansicht, Luzifer rigoros zu stoppen und zu strafen für seinen Frevel. Andere wiederum meinten, wir sollten ihn gewähren lassen, weil es uns nicht zustünde und nicht Teil unserer Aufgabe wäre, hier einzugreifen.
Ich selbst war mir meiner Meinung nicht ganz sicher. Zum einen vertrat ich durchaus den Standpunkt, daß wir die Menschen sich selbst überlassen müßten, ganz gleich, welches Schicksal ihnen zuteil wurde. Andererseits jedoch hatten sie mit Luzifer eine Plage am Hals, derer sie aus eigener Kraft nicht Herr werden konnten. So tendierte ich eher dazu, dieses eine Mal entscheidend in die Geschicke der Menschheit einzugreifen. Trotzdem zögerte ich noch, meinen Entschluß den anderen gegenüber kundzutun - Daß ich es letztlich doch tat, und zwar für alle überraschend heftig, lag daran, daß Luzifers übles Treiben auf die Unseren Wirkung zu zeigen begann!
Einige aus unserer Schar erklärten nämlich, daß sie nicht übel Lust hätten, sich dem Abtrünnigen anzuschließen. Sie fanden Gefallen am Gehorsam der Menschheit und fingen an, Luzifers Tun zu befürworten, in einem solchen Maße, daß sie seinem Beispiel folgen wollten.
»Schluß!« Mit diesem Wort trat ich in die Mitte des Kreises, zu dem wir uns zusammengefunden hatten. »Haltet ein mit euren frevlerischen Reden!«
»Du kannst nicht leugnen, daß Luzifer die Menschheit bezähmt hat«, warf einer aus der Runde ein.
»Wenn wir alle handelten wie unser Bruder, dann endlich wären die Menschen dem Herrn zum Wohlgefallen«, meinte ein anderer.
»Unsinn!« herrschte ich ihn an.
»Aber .«
»Hört euch an, was unser Bruder zu sagen hat.«
Ich drehte mich dem letzten Sprecher zu, der die Gestalt eines blondgelockten, scheinbar alterslosen Mannes bevorzugt zur Schau trug, und nickte ihm zu: »Dank sei dir, Raphael.«
Dann richtete ich das Wort wieder an alle: »Ich werde euch zeigen, wozu es führt, wenn einer der Unseren die ihm anvertraute Macht mißbraucht .«
»Mißbraucht?« echote einer aus dem
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