Inkasso Mosel
entziffern können, das aus den 20-er Jahren zu stammen schien.
Walde blickte sich in der geräumigen Diele um. Es harrten noch mindestens vierzig Quadratmeter alter Tapeten seiner Spachtel, für die er, seinen bisherigen Erfolg hoch gerechnet, gut und gerne 120 Stunden benötigen würde. Auch wenn er Tag und Nacht durcharbeitete, war das bis zum Umzugstermin nicht zu schaffen.
Eine Walzermelodie von Johann Strauß unterbrach seine Gedanken. Es war Meier, der, eine Rauchfahne hinter sich herziehend, in die Diele stürmte.
»Hast du einen Spachtel übrig?« Der Besucher hängte seine Jacke über die Tür und band sich die Krawatte auf.
Walde griff wortlos in einen Eimer und reichte Meier das Werkzeug.
»Ich bin jetzt vierzig Jahre im Dienst. Nicht, dass ich immer voll bei der Sache war. Früher haben wir auch ab und zu mal über die Stränge geschlagen und einen drauf gemacht. Heute gibt es das ja kaum mehr, es wird viel weniger gesoffen.«
»Was ist los?« Walde wurde nicht schlau aus dem, was sein Kollege sagte.
Meier scheuerte, die Zigarette im Mundwinkel hängend, wie wild an der Tapete. Als er feststellte, dass er mit der Spachtelei kaum etwas ausrichtete, nahm er den nassen Schwamm aus dem Eimer und klatschte ihn an die Wand.
»Was ist passiert?«, wiederholte Walde seine Frage.
»Nichts, gar nichts! Außer, dass ich so richtig eine in die Fresse gekriegt hab’, ist gar nichts passiert.« Meier krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und scheuerte weiter.
Walde beschloss, ihn in Ruhe zu lassen und widmete sich wieder der Tapete.
»Scheiße, wie viel Schichten sind das denn? Würde mich nicht wundern, wenn wir irgendwann auf ein römisches Fresko stoßen.« Meier kratzte mit den Fingernägeln über einen dicken Fetzen Tapete, den er vom Boden aufgehoben hatte. Dann ging er zum Fenster und warf die Kippe hinaus in den Garten. »Ist kein Filter dran, im Frühjahr wird nichts mehr davon zu finden sein. Die ist dann genauso spurlos verschwunden wie die beiden Jungs, die heute freigelassen wurden.«
»Wer ist freigelassen worden?«
»Die beiden Geiselnehmer. Die Inkassotypen mit der Giftspritze, denen der Typ auf dem Weg zur Bank aus dem Auto abgehauen ist. Für die habe ich einen Tag lang die eine Hälfte der Innenstadt gesperrt und die andere in ein Verkehrschaos verwandelt.«
»Geiselnahme in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, dafür ist die Mindeststrafe fünf Jahre«, sagte Walde.
»Sie sind nach sechs Monaten rausgekommen.«
»Mit einem guten Anwalt hätten sie mit sechs Jahren zufrieden sein können«, sagte Walde.
»Das Trierer Landgericht hat gepennt. Die haben die Fristen versäumt und das Koblenzer OLG musste der Haftbeschwerde stattgegeben, weil nach sechs Monaten noch kein Verhandlungstermin in Sicht war.«
»Willst du damit etwa sagen, dass die beiden …«
»… ohne Auflagen entlassen wurden. Das musst du dir vorstellen. Die hauen hundertprozentig ab, dann platzt der Prozess, weil nicht mal eine Adresse vorhanden ist, über die sie geladen werden können.« Meier zündete sich eine weitere Zigarette an. »Die Staatsanwaltschaft hat den Fall vor Monaten abgeschlossen, da gab es nichts mehr zu ermitteln, alles klar wie Kloßbrühe, und das Landgericht lässt die Akten vor sich hingammeln, bis es zu spät ist.«
»Hätte das OLG denn nicht noch was machen können?«
»Die Koblenzer haben Schiss vor dem Bundesgerichtshof. Das Gesetz lässt nur bei triftigen Gründen eine längere Untersuchungshaft zu, und hier wurde nicht mal der Versuch gemacht, eine Haftverlängerung zu begründen.«
»Wer war das?«, fragte Walde.
»Dreimal darfst du raten.«
»Keine Ahnung.«
»Mit wem hatten wir letzte Woche zu tun?«, fragte Meier.
»Nein, das glaub’ ich nicht!«
»Es ist aber so. Richter Harras hat die Sache verbummelt und das OLG musste die beiden Typen laufen lassen.«
*
»Mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich kann seit vier Wochen nicht mehr joggen, und Fahrrad fahren ist mir zu gefährlich«, sagte Doris. »Nicht mal Stadtführungen kann ich mehr machen.«
»Was hältst du von einem Heimtrainer?«, schlug Walde vor.
»Nee, das ist zu langweilig, immer auf der gleichen Stelle zu strampeln.«
»Und schwimmen?«
»Mit dieser Figur lasse ich mich im Stadtbad nicht blicken.« Sie umfasste mit beiden Händen ihren Bauch.
»Ich komme mit und sage jedem, der dich anstarrt, dass ich das angerichtet habe.«
»Ich hab’ fünfzehn Kilo zugenommen.«
»Und wenn wir raus in ein
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