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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Kamera einen langen Schwenk. Und noch einen. Im Bild erschien jetzt eine Uhr, die an der Spitze eines langen grauen Pfahls aus Gusseisen angebracht war. Ihre Zeiger standen auf neun Uhr.
    »Es ist schweinekalt«, sagte einer der beiden Streifenbeamten außerhalb des Sichtfelds. Als die Kamera mit dem Scheinwerfer auf ihn schwenkte, hielt sich der Beamte geblendet die Hand vor die Augen und brüllte: »Hey, schieb dir das Teil doch in den Arsch!«
    Der Beamte in Zivil meinte lachend: »Deine Kinder werden noch stolz auf dich sein, wenn du so im Fernsehen zu sehen bist … Das ist ja voll peinlich!«
    »Das schneidest du doch raus, oder?«, fragte der Beamte leicht besorgt.
    »Jaja …«, antwortete der Kameramann zerstreut und schwenkte mit dem Objektiv wieder auf die Wohnblocks.
    »Du schneidest das raus, verdammt, oder ich reiße dir den Arsch auf«, wiederholte der Beamte laut.
    »Schon gut, schon gut, ich schneid es raus …«
    Die anderen beiden Polizisten lachten.
    Der Kameramann richtete das Objektiv wieder auf die Fenster der Wohnblocks, suchte eines nach dem anderen mit mathematischer Genauigkeit ab. Unvermittelt fiel Licht auf die Fassaden der Wohnblocks. Daraufhin wandte er sich abrupt um. Einen Augenblick lang war das Bild weiß, überbelichtet durch den Scheinwerfer eines Wagens oben auf dem Hügel. Das Mikrofon zeichnete auf, wie die Schuhe der Polizisten auf der Kiesschicht knirschten. Alle drehten sich um. Dann zoomte die Kamera das Bild heran, und man sah einen Wagen, auf dessen Motorhaube eine helle undeutliche Silhouette zu erkennen war, die hin und her schwankte.
    Es war absolut still. Eine Stille, die beunruhigend wirkte und entstand, weil alle verstummten und auch nicht wie sonst das Brummen des Automotors sämtliche anderen Geräusche überdeckte. Obwohl alle schwiegen, hörte man den Wagen nicht. Absolute Stille? Nein. Wenn man diese Stille ertrug und genau hinhörte, konnte man das Geräusch der Räder auf der Schotterstraße ausmachen, das Geräusch von knirschendem Kies, aber so unnatürlich leise, dass die Stille weiterhin alles zu überlagern schien.
    »Was macht denn der Wagen da?«, fragte einer der Beamten.
    Während das Auto immer schneller den Abhang hinunterrollte, gelang es dem Kameramann, es mit dem Objektiv näher heranzuholen und den Mann auf der Motorhaube klarer ins Bild zu bekommen. Er war nackt. Und fett.
    Der Wagen hielt genau auf den Stapel aus Travertinsteinen zu.
    »Los, nichts wie weg hier!«, schrie ein Beamter, der außerhalb des Blickfeldes der Kamera stand.
    Der Mann war mit kräftigen Seilen auf der Motorhaube festgezurrt, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Er riss die Augen weit auf, und die Angst darin schien alles Licht der Kamera in sich aufzusaugen.
    Einen Augenblick lang sah man etwas aus Metall an der Kehle des Mannes aufblitzen. Obwohl sein Mund weit geöffnet war, hörte man ihn nicht. In seinem Mund steckte irgendetwas Seltsames, übertrieben Großes und Grünes.
    Dann überdeckte ein schrecklicher Knall die Stille, und man sah ein grelles gelb-bläuliches Licht, als der Wagen gegen die Mauer aus Travertinsteinen prallte.
    Der Körper des Mannes wurde nach vorn geschleudert.
    Dabei trennte sich der Kopf vom Rumpf, als würde er von einer Feder durch die Luft katapultiert, während das laute Geräusch des Aufpralls durch diese Großbaustelle in der Vorstadt hallte.
    Der Mann hinter der Kamera hatte einigermaßen die Ruhe bewahrt und die Flugbahn des Kopfes verfolgt, beinahe, als hätte er so etwas erwartet. Der Kopf hüpfte auf dem Asphalt hoch wie ein schlecht aufgepumpter Ball und rollte ein paar Meter weiter, wobei er immer langsamer wurde und schließlich gegen das Rad des Wagens prallte, hinter dem sich der Polizist in Zivil verschanzt hatte.
    Er hätte nur einen Arm ausstrecken müssen, um ihn zu berühren.
    Das Bild wurde immer klarer. Die Augen des fetten Mannes standen immer noch weit offen. Seine schlaffen Wangen waren von glänzenden Tränenspuren überzogen. Die Nasenlöcher zogen sich krampfhaft, wie in einem Reflex, zusammen. Dort, wo der Kopf vom Körper getrennt war, sah man ganz deutlich eine gelbliche Schicht Haut, eine weiße aus Fettgewebe, dann die rote der Muskeln und darunter die elfenbeinfarbene Wirbelsäule.
    Nach einem Augenblick, der sich wie eine Ewigkeit hinzog, hörten die Nasenlöcher auf zu zittern, und dann sprudelte das Blut hervor.
    Im Mund des Mannes steckte ein Apfel. Ein riesiger, unreifer, grüner Apfel. Seine

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