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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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ausbluten würde. »Ihr beiden habt recht. Es ist nur eine imaginäre Linie …«
    »Woran denkst du?«
    »Hast du dich nie gefragt, was für einen Sinn unser Beruf eigentlich hat, Nicola?«, begann Amaldi, dessen Blick immer noch wie gebannt am Horizont hing. »Unser Job geht über eine schlichte Koexistenz mit dem Bösen hinaus. Wir sind von ihm abhängig. Das Böse ist so etwas wie unser Arbeitgeber, ein Liebhaber, der uns aushält. Wir wüssten überhaupt nicht, was wir anfangen sollten, wenn es nicht mehr existierte. Dann hätten wir keine Daseinsberechtigung mehr. Hast du dich jemals gefragt, ob wir überhaupt etwas anderes können …?«
    »Ich will ja gar nicht bestreiten, dass wir einen Scheißjob haben. Aber in all dem Schwachsinn, den du gerade von dir gegeben hast«, antwortete Frese nach einer Weile, »steckte auch ein Körnchen Wahrheit. Wir können nichts anderes. Die Möbel, die du hier machst, sind wirklich scheiße, entschuldige, wenn ich dir das so offen sage. Als Tischler hast du bestimmt keine große Zukunft.«
    Amaldi lachte.
    »Was ist nun?«, fragte ihn Frese wieder.
    »Nicola, jetzt dräng mich nicht.«
    »Wir brauchen dich.«
    »Meine Antwort ist Nein.«
    Frese kickte wütend ein Häufchen Späne weg.
    »Möchte jemand Kaffee?«, fragte Giuditta, die gerade aus der großen Terrassentür trat.
    »Wird denn in diesem Haus bloß noch Kaffee getrunken?«, polterte Frese los.
    »Möchtest du etwas anderes?«, fragte ihn Giuditta.
    »Nein. Ich wollte sowieso gerade gehen.«
    »Bleibst du nicht zum Abendessen?«
    »Ich kann nicht …«, murmelte Frese.
    »Du hattest doch gesagt, dass du bleiben würdest«, protestierte Giuditta.
    »Jaja, ich weiß … es tut mir leid. Mir ist der Appetit vergangen. Auf Wiedersehen, Commissario«, meinte er grimmig zu Amaldi. »Warum zum Henker hat man dich überhaupt befördert, wenn du jetzt …«, dann wandte er sich wieder an Giuditta. »Entschuldige bitte«, meinte er, als er an ihr vorüberging.
    »Die Kassette liegt vorn im Eingangsbereich«, sagte Amaldi.
    Frese gab ihm keine Antwort. Türenschlagend verließ er das Haus, und kurz darauf hörte man, wie ein Motor angelassen wurde und Reifen auf dem Asphalt quietschten.
    Giuditta kam zu Amaldi, der wieder regungslos dastand und den Horizont anstarrte. Amaldi legte ihr einen Arm um die Schulter und zog sie zu sich heran. Giuditta roch so gut. Ihre Haut war glatt und so weiß, als ob sie sie gepudert hätte.
    »Hast du ihm einen Korb gegeben?«, fragte Giuditta.
    »Du hast ihn ja gesehen … Er war fuchsteufelswild.«
    »Er mag dich wirklich.«
    Amaldi drehte sich zu ihr um. Sie hatte einen üppigen Mund. Ganz natürlich volle Lippen, dachte Amaldi. Ein Mund, der oft lächelte. Jetzt wieder, nach so langer Zeit. Die Haut darüber war von ein paar kleinen Fältchen durchzogen, die sich mit dem Alter vertiefen würden. Amaldi strich darüber, als ob er sie glätten wollte.
    »Was meinst du mit ›er mag mich wirklich‹?«, fragte er sie.
    »Dass er sich Sorgen um dich macht«, erklärte Giuditta lächelnd und kniff ihre grauen kurzsichtigen, eigenartig geformten Augen noch weiter zusammen, deren Lider zur Mitte, zur Nase hin leicht abfielen und sie melancholisch wirken ließen, selbst wenn sie es gar nicht war.
    »Er hat gesagt, dass meine Möbel scheiße sind.«
    Giuditta lachte. »Das stimmt nicht, sie sind wunderschön.«
    »Lügnerin«, sagte er zu ihr und küsste sie. Giudittas Lippen schmeckten nach Salz. »Ich räum noch ein wenig auf«, meinte er und zeigte auf die Terrasse.
    »Dann geh ich etwas spazieren. Das Abendessen ist ja schon fertig.«
    »Was soll ich deiner Meinung nach tun?«, fragte Amaldi sie.
    Giuditta drehte sich um und schaute ihn an. Ihr üppiger Busen wippte kaum wahrnehmbar unter dem weiten Pulli. Eine leichte Brise zerzauste ihre aschblonden langen, glatten Haare. Manchmal wirkt sie deutlich älter als fünfundzwanzig, dachte Amaldi. Vielleicht lag das an ihrer ernsten, beinahe nüchternen Art. Vielleicht auch daran, dass Giuditta in das Innere der Menschen blicken konnte. Sie konnte in die Tiefe ihrer Seelen schauen und ließ sich nicht vom äußeren Anschein täuschen. Und er hatte gelernt, auf ihre Meinung zu hören.
    »Ich will gar nichts, Giacomo.«
    »Willst du nicht, dass ich hier auf der Stelle meinen alten geliebten Hund umbringe? Du weißt, ich würde es tun, wenn du mich darum bittest …«
    »Ich will gar nichts, Giacomo.«
    Amaldi zitterte, klammerte sich krampfhaft an

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