Inmitten der Unendlichkeit
des Kreises zu halten. Sie arbeitete in stetigem Rhythmus. Zuerst überprüfte sie das schematische Diagramm auf dem Schirm der improvisierten Platine, dann das Annäherungsprogramm auf dem Display ihres elektronischen Notizbuchs. Dann wartete sie entweder oder unternahm eine Kurskorrektur. Hin und wieder meldete sie: »Zuverlässigkeit hoch«, oder: »Schiff im Annäherungskanal.« Dann begann das ganze Spiel von vorn.
Korie befeuchtete seine Lippen. Sie waren rissig und spröde. Seine Kehle war wie ausgetrocknet. Er nahm einen Schluck Wasser aus einem Trinkschlauch und wartete schweigend.
»Entfernung: eine Minute«, meldete Tor. Eine Ewigkeit später dann: »Dreißig Sekunden.«
Irgendwann hatten sie eine unsichtbare Grenze überschritten. Jetzt war es zu spät, um das Manöver noch abzubrechen. Was auch immer nach dem Anlegen geschehen mochte, es war jetzt unausweichlich geworden. Korie hatte oft über diese unsichtbare Linie, diesen ›Punkt ohne Wiederkehr‹ nachgedacht. Er machte ihm angst. Seitdem er damals in seinem zyne- Studium am Ende der Lektionen über die Wahl als Grundbedingung für Freiheit angelangt war, entnervte ihn diese unsichtbare Grenze und das Verschwinden einer Wahlmöglichkeit mehr, als er in Worten ausdrücken konnte. Es war der totale Verlust jeglicher Kontrolle. Und er konnte nichts dagegen unternehmen, außer abzuwarten und zu hoffen, daß er nichts übersehen hatte…
»Noch fünfzehn Sekunden…«
»Noch zehn Sekunden…«
»Fünf…«
Irgendwo hinter ihm gab es ein leises hohles Geräusch. Er konnte beinahe fühlen, wie die Verankerung sich schloß. Sie hatten angedockt.
»Hallo Dolly… «, flüsterte Korie leise zu sich selbst.
Nichts geschah.
Er wartete.
Alle warteten.
Er sah Brik zum hundertstenmal an. Brik blickte zum hundertsten Mal zurück. Wie immer mit ausdruckslosem Gesicht.
Tor schaltete ihre Platine ab und legte sie wieder zu Boden. Dann schwenkte sie in ihrem Sitz herum und zeigte Korie den erhobenen Daumen. Sie grinste.
Korie wünschte plötzlich, er könnte seine Nase reiben. Die Sache gefiel ihm nicht. Alles war zu ruhig. Viel zu ruhig. Nervös klopfte er auf die Armlehne seines Sitzes. Wie lange müssen wir bloß noch warten?
Er schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht gut. Etwas – irgend etwas – hätte passieren sollen.
Er war nicht so arrogant zu glauben, daß sie den Kobold so gründlich verwirrt hatten, daß er außerstande gewesen war, das Andocken zu sabotieren. Nein. Der Kobold mußte gewußt haben, daß sie versuchen würden, von Hand zu docken. Er hatte die Observationskanzel unbrauchbar gemacht und sie gezwungen, das Reservenetzwerk zu benutzen. Folglich war das Netzwerk präpariert. Folglich wartete irgend etwas in diesem Netzwerk auf die Meldung, daß das Manöver erfolgreich verlaufen war. Folglich… Folglich, folglich, folglich.
Kories Gedanken jagten. Was hatte er bloß übersehen? Was war sonst noch mit dem Notfallnetzwerk verbunden? Hatte er hier einen unverzeihlichen Fehler begangen? Hatten sie das externe Netzwerk vielleicht zu gut dekontaminiert?
Und dann meldete sich Hodel.
»In Ordnung, da haben wir’s! Ein verschlüsseltes Signal. Es nutzt die gesamte Schiffshülle als Sendeantenne. Warten Sie einen Augenblick, ich versuche, die Quelle zu lokalisieren. Einen Augenblick…« Hodel stand außen auf der Schiffshülle. Er war mit einer improvisierten Systemanalyseplatine ausgerüstet. Die Teams, die der Leitende Ingenieur hinausgeschickt hatte, hatten während der ersten sechs Dekontaminationsoperation routinemäßig die Signalmonitore an jedem Knoten des Netzwerkes ausgetauscht. Das war einfacher, als die Module an Ort und Stelle zu testen. Bei der letzten Dekontamination hatte die Mannschaft die Monitore erneut gewechselt… aber die Einheiten, die sie eingebaut hatten, waren direkt mit Hodels Platine verbunden. Hodel schwieg noch einen Augenblick, dann polterte er wütend los: »Da soll doch Albert Einstein am Kreuz von Heisenberg schmoren! Mich laust der Affe!«
Korie riß sein Blatt mit den Kodewörtern hoch. Albert Einstein – die Signalfilter! Die Botschaft wurde durch die Signalfilter am Heck in das Netz eingespeist! Über das gesamte Schiff verteilt würden sich in diesem Augenblick individuelle Dekontaminationsteams an ihre Arbeit machen und zu ihren zugewiesen Posten stürzen; aber nur ein Team war darunter, das es nun mit einer lebenden Bombe zu tun bekommen würde. Candleman und Hatano. Beide wußten
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