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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Sternberg
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Erdgeschoss hinunter.
    Wieder zurück in der großen Halle suchte ich noch mal den Informationsschalter auf. Der Jüngling lief rot an und verdrückte sich schnell, als er mich auf den Tresen zusteuern sah. Er informierte die Frau mit dem rosafarbenen Outfit, die nicht erfreut wirkte, als sie mich erkannte. Mit kurzen, aggressiven Stakkato-Schritten trippelte sie auf mich zu.
    »Ich möchte einen Termin wegen einer Kreditberatung«, warf ich ihr entgegen, bevor sie etwas sagen konnte.
    Sie musterte mich unfreundlich.
    »Bitte«, insistierte ich. »Das hatte ich schon lange vor, und wenn ich doch schon mal hier bin …«
    »Heute wird das wohl kaum noch gehen.« Ihr Tonfall war ungnädig.
    »Das macht nichts«, versicherte ich und schenkte ihr mein strahlendstes Lächeln. »Ich komme morgen gerne wieder.«
    Sie seufzte. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«
    Ich beobachtete, wie sie mit ihren rosa lackierten Fingernägeln auf der Tastatur ihres Telefons herumhackte. Zwei Minuten später hatte ich einen Termin für den kommenden Tag. Na also, ging doch!
    * * *
    Bei Risse kaufte ich einen Papageienschnabel. Ich weiß nicht, warum. Ich tat es einfach. Dann folgte ich der Düsseldorfer Straße bis zum Fliegenbusch, unterquerte die A 59 und parkte am Seiteneingang des Friedhofs am Sternbuschweg. Wanderte die baumbestandenen Wege bis zur Friedhofskapelle entlang und setzte mich dort auf eine der Bänke in die blasse Frühlingssonne.
    Die alte romanische Backsteinkirche sah seltsam unbenutzt aus. Auf den grauen Stufen, die hoch zum verschlossenen Portal führten, wuchsen vereinzelt Grasbüschel. Das war mir nicht aufgefallen, als ich zu Kurts Beerdigung hier gewesen war. Nicht gerade altengerecht, diese Treppe. Aber schön. Eine schöne Kirche mit einer schönen Treppe auf einem schönen alten Friedhof. Und nun lag Kurt hier begraben, keine dreißig Meter von dieser Kapelle entfernt.
    Das Gezwitscher der vielen Vögel in den Büschen und Bäumen vermischte sich mit den steten Motorgeräuschen, die der Wind von der A 59 herübertrug. War es einem einmal aufgefallen, verkehrte sich die Geräuschkulisse, und das Dröhnen der Motoren begann, sich zwischen die Vogelstimmen zu mischen, sie zu durchsetzen, zu stören und schließlich ganz zu überlagern.
    Kurt würde es nicht mehr stören. Plötzlich war ich traurig. Und aufs Neue überrascht, wie seltsam nah mir der Tod des ehemaligen Klassenkameraden ging, den ich seit knapp dreißig Jahren nicht mehr gesehen hatte. War das etwa der Tatsache geschuldet, dass ich nun unerbittlich auf die fünfzig zusteuerte und damit ein Alter erreichte, in dem ich nicht einfach nur älter, sondern alt wurde? Mit einer schnellen, energischen Kopfbewegung schüttelte ich diesen morbiden Gedanken ab.
    Ich starrte auf den eingepackten langen Stengel auf meinen Knien. Entfernte das weiße Papier und drehte die Blume unschlüssig in meinen Händen. Ein bunter Papageienschnabel. Eine Clownsblume für Kurti, den Klassenclown.
    Das Grab fand ich nicht auf Anhieb. Eine ganze Reihe von Toten war hier jüngst begraben worden, denn gleich auf mehreren Erdhügeln in der näheren Umgebung verwelkten Trauerkränze und Gestecke. Vermutlich wäre ich daran vorbeigelaufen, hätte da nicht diese Frau gestanden. Es war die Schluchzende von der Beerdigung. Die, die keiner kannte. Die, die so um Kurt geweint hatte, dort, unauffällig am Rande der Trauergemeinschaft.  »La femme, elle est trouvée«,  murmelte ich und lächelte in mich hinein.
    »Hallo.« Ich trat neben ihr ans Grab. Ging behutsam in die Hocke und legte den Papageienschnabel vor der marmornen Grabplatte nieder, ganz vorsichtig, um sie nur ja nicht zu vertreiben. »Ich habe Sie auf der Beerdigung gesehen«, fuhr ich fort, ohne sie anzusehen. »Haben Sie Kurt gut gekannt?«
    Die leise Bewegung hinter mir spürte ich mehr, als dass ich sie hörte. Als ich mich langsam umdrehte, sah ich sie bereits leichtfüßig den Weg hinunterlaufen, den ich vor einer halben Stunde heraufgekommen war.
    »Mist«, fluchte ich leise. »Kurti, ich muss dann mal …«
    Auf einem der Parallelwege eilte ich hinter der Fliehenden her, bemüht, mich so leise wie möglich zu bewegen, um das Ganze nicht zu sehr nach Verfolgung aussehen zu lassen.
    Ich hatte Glück, denn sie parkte am Seiteneingang, auf dem gleichen sandigen Platz wie ich. Und ihr alter Polo war in einem auffällig grasfarbenen Grün lackiert, sodass ich Abstand halten konnte, ohne sie im dichten Verkehr aus

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