Innenhafen
den Augen zu verlieren. Dennoch war es nicht einfach, an ihr dranzubleiben.
Sie fuhr unsicher und nervös. Ich folgte ihr über den Sternbuschweg bis zur Mülheimer Straße, ließ den Duisburger Zoo linker Hand liegen, bog in Richtung Kaiserbergkreuz ab und fuhr schließlich auf die A 40 auf. In der Essener Innenstadt verließ sie die Autobahn und wandte sich auf der B 224 in Richtung Norden.
Der Weg über die A 59 in Richtung Norden und dann über die A 42 wäre einfacher gewesen, dachte ich, als sie schließlich in Altenessen in einer Straße namens Bausemshorst vor einem der typischen zweigeschossigen Genossenschaftsbauten parkte, die dort in großzügigem Abstand voneinander den Rasen bevölkerten. Im Schritt-Tempo rollte ich an dem Haus vorbei, dessen Eingangstür sie soeben mit einem Schlüssel öffnete. Ich fuhr ebenfalls an den Straßenrand und beobachtete durch die Fenster des Treppenhauses hindurch, wie sie in den ersten Stock hinaufstieg. Kurz darauf ging in der linken Wohnung das Licht an.
Sie öffnete die Tür nur einen Spalt weit, und ich erkannte eine Sicherheitskette, die von innen eingehängt war.
»Mein Name ist Toni Blauvogel«, sagte ich. »Ich bin mit Kurt zur Schule gegangen. Darf ich reinkommen?«
»Bitte, gehen Sie«, hörte ich sie durch den Türspalt sagen. Ein leicht harter Akzent lag in ihrer Stimme, wie ihn Polen oder Tschechen haben.
»Normalerweise ist es nicht meine Art, Menschen zu verfolgen. Aber ich muss unbedingt mit Ihnen reden.«
»Warum?«, fragte sie.
»Ich versuche herauszubekommen, was mit Kurt passiert ist. Warum er umgekommen ist. Deshalb möchte ich mit Ihnen sprechen.«
»Ich kenne keinen Kurt«, klang es müde hinter der Tür.
»Doch. Sie kannten ihn. Sie waren auf seiner Beerdigung. Ich habe Sie gesehen. Sie kannten ihn so gut, dass Sie ganz bitterlich geweint haben. Lassen Sie mich doch bitte herein.«
»Nein. Sie verwechseln mich. Und ich rede mit niemandem.« Ihre Stimme klang, als hätte sie Angst.
»Das ist sehr schade«, sagte ich leise. Aber ich konnte nicht verhindern, dass sie die Tür schloss.
Eine Zeit lang saß ich im Auto, ohne den Wagen zu starten. Es hatte angefangen zu regnen, und ich beobachtete die dicken Tropfen, die über die Frontscheibe perlten.
Die Frau hatte eindeutig einen osteuropäischen Akzent gehabt. Osteuropäisch wie die, mit der Kurt in eine Wohnung am Innenhafen hatte ziehen wollen. Ja. Da war ich mir sicher. Osteuropäisch wie eine Übersetzerin? Eine, die bei »Lebedev Übersetzungen« arbeitete? Vielleicht. Und warum wollte sie nicht mit mir sprechen?
Einige der Tropfen verbündeten sich zu Rinnsalen. Sie zogen schlierige Spuren durch das Gemisch aus Staub und Abgasablagerungen, das sich auf der Scheibe gebildet hatte.
Bettina wusste nicht, wo sich Kurt in der Zeit vor seinem Tod aufgehalten hatte. Wusste diese Frau hier mehr? War er vielleicht hier bei ihr gewesen? Und vor seinem Tod in Schwierigkeiten geraten? Hatte sie deshalb Angst?
Schließlich kramte ich einen Stift und einen Haushaltsblock aus dem Handschuhfach. »Sie haben Angst«, schrieb ich. »Und als alte Freundin von Kurt würde ich gerne wissen, warum. Ich bin Privatdetektivin und würde sehr gerne mit Ihnen sprechen. Sie kannten Kurt gut. Ich glaube sogar, dass Sie ihn geliebt haben. Sie wollten heiraten, nicht wahr? Und ich weiß, dass er eine Wohnung kaufen wollte, für Sie und für sich. Bitte rufen Sie mich doch an.«
Ich kritzelte meine Telefonnummer auf das Blatt, faltete es mittig und schob es in ihren Briefkasten.
* * *
Erst zu Hause fiel mir ein, dass mein Handy immer noch ausgeschaltet war, seit ich Behrends auf den Zahn gefühlt hatte. Zwei Nachrichten auf der Mailbox, drei SMS. Alle von Volker. Flüchtig dachte ich daran, wie er sich am Vorabend mit Barbara ohne ein Wort davongemacht hatte. Und damit war ich bei Barbara. Mit der hatte ich mich noch nicht unterhalten.
Ich griff zum Festnetz-Apparat und vereinbarte einen Besuch bei ihr am nächsten Tag. Dann erst meldete ich mich bei Volker.
»Na endlich«, sagte er gereizt. »Warum drückst du mich einfach weg, wenn ich anrufe? Was soll das denn?«
Und warum verkrümelst du dich einfach ohne ein Wort aus dem Finkenkrug?, wollte ich kontern, ließ es dann aber doch bleiben.
»Ich war gerade selbst im Gespräch«, sagte ich ruhig.
»Und warum rufst du dann nicht zurück?«
Der Kerl war tatsächlich beleidigt. »Ich habe vergessen, das Handy wieder einzuschalten«, lenkte ich
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