Innenhafen
– nein. In seiner Position hatte er keinen Anspruch auf einen Dienstwagen.«
»Also sein Privatwagen. Wissen Sie, ob er immer mit dem Auto zur Arbeit kam?«
»Tut mir leid. Das entzieht sich nun wirklich meiner Kenntnis. Aber wenn das so wichtig ist … einen Moment bitte.« Er griff zum Telefon.
Während er telefonierte, sah ich mir die gerahmten Fotografien an der Wand an.
Allesamt zeigten sie Dr. Behrends. Dr. Behrends, wie er einem gewichtig aussehenden Mann mit breiten, ausgeprägten Wangenknochen die Hand schüttelte. Auf dem nächsten Foto überreichte derselbe Mann Dr. Behrends feierlich eine Bärenfellmütze. Bären und slawische Wangenknochen. Osteuropa, assoziierte ich. Ein anderes Bild kam mir in den Sinn. Ein Bogarthut. Rote Locken. Heftiges Schluchzen. Tränen, die sich durch eine dicke Puderschicht gruben. Und die Worte der Maklerin: »eine aus Osteuropa«. Dann registrierte ich, dass es seltsam still um mich herum geworden war.
Dr. Behrends hüstelte. Er schien auf etwas zu warten. Auf was?
»Ja?«, fragte ich vorsichtig.
»Ich sagte, Herr Türauf hatte keinen Stellplatz in der Tiefgarage«, wiederholte er streng. »Ob er mit dem Auto zur Arbeit kam, entzieht sich also meiner Kenntnis.« Er hievte sich aus seinem Chefsessel und deutete auffordernd zur Tür.
Den Gefallen, dieser Aufforderung zu folgen, tat ich ihm aber nicht. Denn eine Frage wollte ich noch loswerden. »Beschäftigen Sie hier eigentlich auch Osteuropäerinnen?« Lässig schlug ich die Beine übereinander, dem unbequemen Sitzmöbel zum Trotz.
»Frauen aus Osteuropa?« Verblüfft setzte Behrends sich wieder.
»Russland, Polen, Tschechoslowakei, Ukraine«, half ich nach.
Er hob eine Augenbraue. Sie war wuchtig und dunkel. Eine Waigel-Braue, dachte ich und grinste innerlich.
»Nicht im Servicebereich.« Die Art, wie er jetzt die Lippen schürzte, hatte etwas seltsam Abschätziges an sich.
»Vielleicht gibt es ja freie Mitarbeiter mit entsprechender Abstammung?« Gewinnend lächelte ich ihn an. »Oder externe Personaldienstleister, auf die Sie manchmal zurückgreifen?«
Er lächelte zurück. Mechanisch irgendwie. Die schweren Augenbrauen gaben ihm etwas seltsam Bedrohliches dabei. Ein Wolf im Schafspelz , warnte Großmutter mich.
»Manchmal nehmen wir die Hilfe von Übersetzungsbüros in Anspruch, falls Sie so etwas meinen.«
Ich nickte verstehend. »Haben Sie denn viele Kontakte nach Osteuropa?«
»Das kann ich so ad hoc nicht beantworten. Und wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun.«
»Wer wäre denn ad hoc dazu in der Lage?«
»Ich sagte doch, dass wir Ihnen das nicht auf die Nase binden werden.« Sein Tonfall war plötzlich sehr unfreundlich. »Bankgeheimnis.«
»Aber, aber. Wir sind doch hier nicht in der Schweiz, oder?« Neckisch zwinkerte ich ihm zu. »Es geht mir doch auch gar nicht darum, Sie über mögliche Kunden in Osteuropa auszuquetschen. Ich wollte lediglich wissen, mit welchen Übersetzungsbüros Sie zusammenarbeiten.«
Er nannte mir einen Namen. »Lebedev Übersetzungen«. Und damit war ich nun endgültig verabschiedet.
Nachdenklich öffnete ich die schwere Brandschutztür zum Treppenhaus. Viel klüger war ich jetzt nicht. Oder doch?
Ich setzte mich auf eine Stufe, stützte das Kinn in die Hand und dachte über das Gespräch nach. Kurts Chef hielt nicht allzu große Stücke auf ihn, das war offensichtlich. Kein Typ für eine Beförderung, kein Typ für die Dynamik einer Anlageberatung, kein Typ für gar nichts.
Eine steile Karriere in der Bank war jedenfalls nicht der Grund für Kurts Geldsegen, so viel stand fest. Geld … woher zum Teufel hatte er so viel Geld gehabt? Er saß hier doch an der Quelle. Eine Made im Speck, sozusagen. Hatte er sich etwa irgendwie daran bedient? Konten geplündert? Sich an Umbuchungen von weggerundeten Nachkommastellen bereichert? War das der Grund für die Antipathie, die sein Chef ihm entgegenbrachte? Quatsch. Unwillkürlich musste ich kichern. Dann wäre er schon längst geschasst worden. Also doch nur mangelnde Dynamik. Glaubte ich diesem Hochglanz-Boss mit den schrecklich dynamischen Weigel-Brauen? Ich wusste es nicht. Laut Bettina hatte Kurt behauptet, sein Chef würde sich mit fremden Lorbeeren schmücken. Wessen Lorbeeren? Solche, die eigentlich ihm, Kurt, hätten zustehen müssen? Auf jeden Fall konnte es nicht schaden, sich noch eine zweite Meinung zu Kurt und seinen Ambitionen hier in der Bank einzuholen.
Ich stand auf und sprang die Stufen zum
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