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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Sternberg
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»Herr …«
    »Schiller«, sagte er. »Einfach nur Schiller, ganz ohne Herr. So werde ich von allen genannt. Und ich weiß, ich sehe verboten aus.« Seine Stimme war verblüffend schön. Eine richtige Schauspielerstimme, volltönend und viel zu tief für einen solchen Mann.
    Am schwierigsten waren die Augen. Sie waren irgendwie nicht parallel, sondern schienen auf verschiedene Dinge ausgerichtet zu sein, sodass man sich entscheiden musste, ob man ins linke oder ins rechte Auge sehen sollte. Außerdem war das eine blau und das andere braun.
    »Halt dich einfach an eines von beiden, dann klappt es schon.« Er lächelte mich an. Und dieses Lächeln hatte es in sich. In dem Augenblick wusste ich, dass er so schnell nicht wieder aus meinem Leben verschwinden würde.
    »Gut. Schiller also. Was wollen Sie … willst du von mir?«, griff ich sein Duzen auf.
    »Du warst oben bei Kurt in der Wohnung, ich habe dich vorhin am erleuchteten Fenster stehen sehen.« Auffordernd sah er mich an.
    »Ich bin eine alte Freundin von Kurt. Wart ihr befreundet?«
    »Wieso wart?«, fragte er überrascht. »Wir sind es. Ich wohne da hinten.« Er deutete vage in Richtung des Hinterhofes. »Stimmt was nicht?«
    »Nichts, was sich gut in einem Hausflur besprechen ließe. Können wir zu dir gehen?«
    Er musterte mich gründlich, so, als wollte er einschätzen, ob er mich gefahrlos in seine Wohnung lassen könne. »Wir gehen außen rum«, entschied er schließlich, schob sich an mir vorbei und hielt mir auffordernd die Haustür auf.
    Er führte mich um den halben Häuserblock zum Dellplatz, wo er in eine offene Toreinfahrt einbog. Ich folgte ihm, vorbei an den obligatorischen grauen, gelben und braunen Tonnen und einem Unterstand für Fahrräder, bis hin zu einem kleinen Hinterhofgebäude, das so aussah, als würde es eine Werkstatt beherbergen. »Wingert«, stand auf dem Klingelschild zu lesen.
    »Auf eigene Gefahr.« Schiller schloss die Tür auf und bedeutete mir, stehen zu bleiben. »Warte besser, bis ich das Licht angemacht habe.«
    Kurz darauf tauchte eine uncharmante Neonbeleuchtung den Raum in gnadenlose Helligkeit.
    Eilig trat ich über die Schwelle, um augenblicklich wieder stehen zu bleiben. »Jui!«, entfuhr es mir. »Sagtest du nicht, du wohnst hier?«
    »Das tue ich auch«, bestätigte Schiller würdevoll.
    Interessiert sah ich mich um. Der gesamte Raum, der vermutlich wirklich mal als Werkstatt gedient hatte, war mit robusten Lagerregalen voll gestellt, die von den Seitenwänden quer in den Raum hineinragten und nur einen schmalen Gang zur Tür am anderen Ende des Raumes frei ließen. Sie waren bis zur Decke angefüllt mit Schubkästen, Kartons und Kisten, die alle sorgsam beschriftet waren.
    »Zwischenhändler?« Neugierig betrat ich den Gang zwischen zwei Regalblöcken. In dem Regal zur Rechten waren Werkzeuge gelagert.
    »Nein. Kein Gewerbe«, sagte Schiller schlicht.
    Ich zählte drei Industriestaubsauger, mindestens sechs Bohrmaschinen, fünf große Wasserwaagen des gleichen Typs aus Metall, noch originalverpackt, vier Handschleifgeräte, zehn sehr große Hammer … etwa Vorschlaghammer? Ich drehte mich um und sah sechs Plattenspieler neben einem alten Atari, einem Commodore und drei Röhrenmonitoren.
    Schiller beobachtete mich schweigend.
    »Wozu brauchst du das denn alles?«, fragte ich schließlich staunend. »Wenn du nicht offiziell mit dem Zeug handelst? Oder verkaufst du das auf Flohmärkten? Oder über Ebay? Ich bin nicht von der Gewerbeaufsicht, falls du das befürchtest.«
    »Nix da. Ich gehe auf Flohmärkte, um zu kaufen.«
    »Aber …« Ich schüttelte den Kopf. Dazu fiel mir nichts mehr ein.
    »Ich sammele einfach gerne«, sagte er. »Es macht mich rasend, wenn die Leute Sachen wegwerfen, die man noch gebrauchen kann.« Er schickte mir wieder dieses unglaubliche Lächeln. »Wenn du einen Plattenspieler brauchst, kannst du dir gerne einen nehmen.«
    »Ich habe gar keine Schallplatten mehr«, wehrte ich ab.
    Wir betraten einen weiteren Raum, etwas kleiner als der vorherige. Vermutlich ehemals ein Büro. Oder ein Aufenthaltsraum, denn an der Stirnseite befand sich eine schrömmelige Küchenzeile. Ansonsten das gleiche Chaos. Die Inhalte der Regale schienen thematisch geordnet zu sein. Leere Glasaquarien neben mehreren Stapeln von Neonröhren, nach Länge sortiert, mindestens fünf Mikrowellen bei einer Armada von Kaffeemaschinen, Fleischwölfen und flachen Zweiplattenherden.
    Eine Wendeltreppe in der Ecke des Raumes

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