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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Sternberg
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Zeit gewesen war, sich von der Rolle des Klassenclowns loszueisen und Verantwortung zu übernehmen?
    Doch dieser Vorwurf war ungerecht. Denn Verantwortung hatte er früher auch schon übernommen, der Kurti. Auch in seinen Zeiten als Klassenclown. Wieder dachte ich daran, wie oft er einen von uns rausgehauen hatte, wenn wir Bockmist gebaut hatten.
    Mit der Bierpulle in der Hand wanderte ich durch die Räume. Vor dem monströsen Fitness-Allrounder blieb ich stehen. Auch das Gerät sah neu aus. So, als sei es noch nicht allzu oft benutzt worden.
    Versuchsweise legte ich mich auf die Bank. Griff mit beiden Händen die Gewichtsstange und versuchte, sie hochzustemmen. Es gelang mir zweimal. Dann gab ich auf. Griff stattdessen nach der Gebrauchsanleitung, die an einer Kordel von der Seitenstange baumelte, und studierte die verschiedenen Übungen, die man machen konnte. Gewichte stemmen – das hatten wir ja schon. Mit den Füßen Gewichte treten. Aha. Sich umgekehrt auf die Bank legen, den Kopf nach unten, die Füße dort oben eingehakt, und Sit-ups machen. Das sollte gesund sein? Ich wagte es zu bezweifeln. Was hat dich bloß dazu veranlasst, dir ein solches Folterinstrument zuzulegen, Kurti? Meinst du, mit einem Waschbrettbauch wärest du gegen die Unbill der Konkurrenz im Berufsleben gefeit? Wärest erfolgreicher? Dynamischer? Aufsteigender? Oder war es wegen der Frau, die du dann ja wohl doch noch gefunden hattest? Der großen Liebe? Wie konnte es die große Liebe sein, wenn sie nach einem straffen Bauch gierte?
    Ich ging in den nächsten Raum. Das Schlafzimmer. Wie aus dem Katalog, so neu. Nur die Bettwäsche war verwaschen. Vorsichtig ließ ich mich auf der Bettkante nieder. Die Bettwäsche fühlte sich weich an. Weichspüler, assoziierte ich. War ziemlich umstritten, das Zeug. Ich wippte, und die Matratze gab federnd nach. Nachgiebig und hart zugleich. Wirkte sehr bequem.
    Also, Kurt, was weiß ich jetzt von dir? Weiß ich mehr als vor dem Betreten der Wohnung? Sehe ich dich besser, deutlicher?
    Neue Möbel hast du dir gekauft. Alles neu. So, als wolltest du dir ein neues Leben aufbauen. Eine Wohnung wolltest du auch kaufen. Aber macht man das nicht umgekehrt? Erst die Wohnung, dann die Möbel? Ich verstehe das nicht. Nicht das Anliegen und schon gar nicht die Reihenfolge. Hast du zunächst etwa nicht geglaubt, so viel vom großen Kuchen abzubekommen, dass es für beides reicht? Für neue Möbel und eine neue Wohnung? Hast du dir die Möbel gekauft, weil du hier wohnen bleiben wolltest? Und dann gemerkt, dass du noch viel mehr haben konntest von der Kohle? Welcher Kohle überhaupt? Bist du übermütig geworden? Größenwahnsinnig?
    Geld. Immer wieder dieses Geld. Keine Erbschaft. Kein Kredit. Keine Bereicherung an fremden Konten. Woher also stammte dieses verdammte Geld?
    Ich wusste es nicht. Was wusste ich dann? Was zum Teufel wusste ich überhaupt von Kurt Türauf?
    Noch mal von vorne: Ich wusste, dass er sich um eine athletische Figur bemüht hatte. Um Muskeln und Kraft. War es wirklich wegen irgendwelcher Schönheitsideale? Oder ging es ihm dabei um was anderes? Vielleicht um Wehrhaftigkeit? Um sich besser schützen zu können? Aber wovor? Oder besser noch: vor wem?
    War er deshalb in den letzten Wochen vor seinem Tod verschwunden? Weil auch er Angst gehabt hatte? Angst wie die Frau, die er heiraten wollte?
    So viele Fragen und keine einzige Antwort. Frustriert leerte ich die Flasche in meiner Hand und verließ die Wohnung.
    Der Mann stand in der Tür zum Hinterhof und sah aus, als hätte er auf mich gewartet. Stand da und sah mich an, einfach so, ohne was zu sagen.
    Ich schwieg, völlig verblüfft, und wartete erst mal ab. Denn ich wusste absolut nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte.
    »Gut«, sagte er schließlich. »Genug geguckt. Nur eine blöde Laune der Natur.«
    Verlegen lächelte ich ihn an. Er hatte recht. Alles an ihm war eine Laune der Natur. Unproportioniert. Die Arme seltsam verkürzt, die Beine ebenfalls sehr kurz geraten, die Füße im Verhältnis dazu wahrhaft riesig. Und wäre da nicht der seltsam quadratisch wirkende, sehr lang geratene Oberkörper gewesen, hätte man ihn kleinwüchsig genannt. Die untere Hälfte des Gesichtes war von grauen, struppigen Stoppeln bewuchert, die das Stadium eines Dreitagebartes schon ein paar Tage hinter sich gelassen hatten und so aussahen, als würden sie immens kratzen.
    »Sie wollen mit mir sprechen?«, fragte ich vorsichtig.

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