Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Sternberg
Vom Netzwerk:
abzuwickeln?«
    »Bankauskunft, Sicherheiten, Einkommensnachweise, polizeiliches Führungszeugnis, Wohnsitz …«, zählte Lydia Herzkamp unter Zuhilfenahme ihrer Finger auf. »Außerdem kommt es noch auf das Alter an. Einem Achtzigjährigen würden wir kaum einen Kredit gewähren, es sei denn, er hätte gewisse Sicherheiten.«
    »Ein Eigenheim beispielsweise?«
    »Zum Beispiel«, bestätigte sie. »Giorgio, bitte noch mal das Gleiche für uns beide«, rief sie zur Theke hinüber.
    »Also bleibt wenig Spielraum für Mauscheleien«, stellte ich fest. »Sie haben mir noch nicht gesagt, auf was Kurt alles zugreifen konnte. Nur, dass es aufgefallen wäre, wenn er sich mit seinem User-Log-in in Pfründe begeben hätte, die ihn nichts angehen. Wie wäre es denn aufgefallen?«
    »Es gibt regelmäßige Sicherheitskontrollen«, sagte Lydia Herzkamp. »Auswertungsroutinen, die die Aktivitäten der Mitarbeiter überprüfen. Außerdem sind die Log-ins natürlich mit Zugriffsrechten versehen.«
    Also ein Rechtesystem und Auswertungen über die Zugriffe, notierte ich mir in Gedanken.
    »Demnach wäre es vermutlich nicht aufgefallen, wenn er in seinem eigenen Bereich geschnüffelt hätte. Ich meine, wenn er zum Beispiel in fremde Vorgänge geschaut hätte, ohne was zu verändern?«
    »Wenn er nichts ändert, fällt es nicht auf«, bestätigte Lydia Herzkamp.
    »Er hatte also theoretisch Einsicht in sämtliche laufenden Kreditvergaben?«, bohrte ich nach.
    »Das hatte er.«
    Nachdenklich widmete ich mich dem zweiten alkoholfreien Campari Orange. Auch Lydia saugte abwesend an ihrem Plastikhalm. Er war so türkis wie das Getränk in ihrem Glas. Es sah giftig aus.
    »Sammeln Sie eigentlich alle Informationen über Ihre Kunden in elektronischer Form?«, fragte ich schließlich. »In Form eines Dokumentenarchivs beispielsweise?«
    »Natürlich. Das Zeitalter der Aktenordner ist vorbei. Wir scannen alles ein, Personalausweise, Führungszeugnisse, die Unterschrift des Kunden, einfach alles.«
    »Sie haben also über jeden Kunden eine elektronische Akte«, fasste ich zusammen. Mich schauderte bei dieser Vorstellung. Der gute alte Geldstrumpf meiner Großmutter erschien mir plötzlich sehr verlockend.
    * * *
    Ich war froh, dass ich vergessen hatte, Bettina den Schlüssel zurückzugeben. Den zu Kurts Wohnung. Denn die wollte ich mir gerne noch mal ansehen. Noch mal die Witterung aufnehmen, eine Nase voll Kurt, ihn wahrnehmen, sofern er sich überhaupt noch wahrnehmen ließ.
    Zum zweiten Mal in dieser Woche betrat ich die Räume, in denen Kurt gelebt hatte. Holte mir ein Bier vom Balkon, öffnete es, setzte mich an den Küchentisch und trank direkt aus der Flasche. Einen Toten kann man nicht bestehlen. Ich nahm noch einen großen Schluck. Das tat gut. Verdammt gut. Erst jetzt merkte ich, dass ich den ganzen Tag über viel zu wenig getrunken hatte, von den beiden alkoholfreien Bitter Orange im »Giorgio« mal abgesehen.
    Hier also hast du gelebt, Kurt. Geliebt und eine Tochter gezeugt. Die musstest du dann allein großziehen. Bettina, dieses elfenhafte, irgendwie durchscheinende Geschöpf. Du hast sie geliebt, da waren sich alle einig, mit denen ich gesprochen habe. Geliebt, gehätschelt und durch die Schulzeit manövriert. Wie war das, als sie zum ersten Mal ihre Tage bekam? Wie hast du sie sicher durch die Pubertät gebracht und sie dann sogar noch loslassen können? Wie oft hast du nachts wach gelegen und darauf gewartet, dass sie endlich heimkommt? Oder darauf gewartet, dass sie endlich anruft, damit du sie abholen kommst? Weil das so abgemacht war, damit sie sicher nach Hause kommt? So ein zerbrechliches Wesen. Du hast sie bestimmt nicht allein durch die Gegend ziehen lassen. Oder doch? Weil sie dir sonst eine Szene gemacht hätte? Ich bin doch kein Kind mehr, Paps, also bitte!
    Bettina. Nach wie vor war sie seine Vertraute gewesen, wenn man ihr Glauben schenken durfte. Und trotzdem war sie nicht auf dem Laufenden.
    Alleinerziehend. Für viele Frauen war das ganz normal. So stinknormal wie das Amen in der Kirche. Warum also spürte ich so etwas wie Bedauern, wenn ich über Kurts Situation nachdachte? Weil er damit einem Makel ausgesetzt war, dem Makel des Verlassenen? Weil es bei einem Mann eben nicht normal war? Ihn zum Gespött machte im Kollegenkreis? Ihm bei der Karriere im Weg stand? Er musste doch nur das aushalten, was jede zweite Frau aushalten muss. Warum also konnte ich nicht einfach denken, dass es für ihn lediglich höchste

Weitere Kostenlose Bücher