Innenhafen
Freundschaften, die Platz für die neuen Beziehungen schaffen müssen. So hatte ich mir das bislang immer erklärt. Jetzt erkannte ich, dass das falsch war.
Und damit landete ich wieder bei Volker. Bei der seltsamen Unruhe, die mich umtrieb, seit ich mich wieder auf die alten Zeiten eingelassen hatte. Und bei der letzten Nacht. Sie umhüllte mich wie Balsam. Wundbalsam. Heilend. Nur, dass ich gar nicht gewusst hatte, dass da eine Verletzung gewesen war. Ich lächelte versonnen. Nahm einen Schluck Wein, rot und körperreich.
Schließlich verließ ich die alten Geschichten und ging im Geiste das Gespräch durch, das ich mit Max würde führen müssen.
»Schatz, ich muss dir was sagen …«
Schatz? Wie blöd. So nannte ich ihn sonst doch nie. Und was genau sollte ich ihm sagen?
»Ich habe mit Volker geschlafen …«
Was sollte das denn heißen? Was hatte das mit dem zu tun, was da letzte Nacht passiert war? Ein absolut dehnbarer Begriff, der nichts, wirklich rein gar nichts erklärte. Alles falsch machte, weil er ohnehin nichts richtig machen konnte. Nicht die kalte Hütte berücksichtigte und nicht die harte, enge Pritsche, auf der wir lagen. Nicht die tastenden, vorsichtig zarten Berührungen unter Schichten von Kleidern, die dennoch tief, tief unter die Haut gegangen waren. Nicht die süße Intensität klar machen konnte, die an die Liebe von Jugendlichen erinnerte. Nicht die Vergangenheit erklärte und die damit verbundene Sehnsucht.
Also wie dann?
»Es wird keine Wiederholung geben. Weil ich keine Wiederholung will – und er übrigens auch nicht. Wenn du so willst, habe ich nicht mit dem Volker von heute geschlafen, sondern mit dem Volker von früher.«
Hä? Das stimmte, irgendwie, und irgendwie auch wieder nicht. Und es klang verdammt blöd. Wirklich verdammt blöd! Ich würde mir verarscht vorkommen, wenn mir ein Mann so was auf die Nase binden würde. Klang nach billiger Entschuldigung. Nach »Es ist nicht so, wie du denkst«, nach »Ich habe das eigentlich gar nicht gewollt«.
Aber das war falsch. Denn ich hatte es gewollt. Hatte es gewollt von dem Moment an, an dem der verdammte Cordjackenmuff unaufhaltsam in meine Nase gestiegen war, imaginär und dennoch plötzlich wieder so quälend gegenwärtig. Hatte es gewollt, als ich in blaugrauen Novemberhimmel sah und die leise, ironische Stimme wieder hörte, nach so vielen Jahren. Ja, ich hatte es gewollt! Und empfand weder Bestürzung noch Reue.
»Es lag an der Situation, Max …«
Liegt es nicht immer an der Situation?, dachte ich ironisch. Scheiße, das ist mir zu blöd. Plötzlich war ich sauer. Sauer auf mich. Sauer auf Max. Sauer auf Volker. Sauer darauf, dass ich die gleichen dummen, abgedroschenen Worte benutzen würde, die Tausende von Menschen in dieser Situation bereits benutzt hatten. »Es hat nichts mit dir zu tun …«, »Es war die Situation …«, »Eigentlich konnte ich nichts dafür …«. Das hatte Max nicht verdient. Und ich, ich wollte das nicht nötig haben.
»Ich will dich nicht verarschen«, sagte ich leise. »Natürlich war ich das, ich, Toni Blauvogel, im zarten Alter von knapp achtundvierzig Jahren. Und ich wollte es, ja, in genau dieser Situation. Warum war das so? Weil ich es früher so sehr gewollt habe. Weil die Situation so völlig bar jeder Normalität war. Weil uns so gotterbärmlich kalt war und wir uns deshalb so nahe gekommen sind, wie wir uns am gleichen Abend in einer anderen Situation nie nahe gekommen wären, körperlich, meine ich. Weil es so dunkel war und das die Situation noch mal … verändert hat. Die Sache von früher war plötzlich wieder präsent, absolut und vollkommen gegenwärtig. Du Max, du warst gestern nicht gegenwärtig. Nicht greifbar, physisch nicht und auch nicht in meinem Kopf. Es war wirklich ein bisschen wie eine Zeitrückung. Eine Reise in die Vergangenheit. Und deshalb war es auch vollkommen folgerichtig. Folgerichtig, Max! Es war richtig in dieser Situation, ich wollte es, ich bereue es nicht und dazu stehe ich auch. Damit ist es aber auch vorbei, mein Herz. Es ist vorbei …«
Hugh, ich habe gesprochen, dachte ich traurig. Und wusste, dass ich das so nicht würde sagen können. Was ich meinte, würde in verletzten Blicken und verletzenden Worten ertrinken.
Ich hielt mein Weinglas gegen das flackernde Licht einer Kerze. Wunderschön, dachte ich. Dieses Rubinrot eines schweren Weines, durch den das Licht schimmerte. Und ich fasste einen Entschluss. Ich würde Max nichts
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