Innenhafen
hatte Kurt erzählt, dass er eine Sache zum Abschluss bringen und dass er Irina beschützen wollte. Die Frau, die jetzt einen Schnitt in der rechten Wange hatte, während Kurt, ihr Beschützer, tot und begraben auf dem Friedhof am Duisburger Sternbuschweg lag. Das alles stank zum Himmel. Und neben Eifersucht war der schnöde Mammon immer noch das stärkste Motiv, jemanden umzubringen.
Wie hing das alles miteinander zusammen? Wer hatte in dieser Angelegenheit den Durchblick? Mit dieser Frage landete ich wieder bei Kurts Chef, Dr. Dr. von und zu Behrends. Ich beschloss, ihn noch einmal aufzusuchen. Volker informierte ich wohlweislich nicht von meinem Vorhaben. Schließlich hatte er sich strikt dagegen ausgesprochen, Behrends noch einmal heimzusuchen. Mangelnde Beweise. Das stimmte. Aber gerade deshalb hielt ich diesen Besuch für dringend erforderlich.
Ich stand auf und nahm meine Lederjacke von der Garderobe. Steif und klamm, das Ding. Der Eifelregen hatte massive Schäden hinterlassen. Vermutlich irreparabel. Ich seufzte. Da fiel mein Blick auf Max’ dunkelgraue, herrlich weich gegerbte Lederjacke mit der dicken Fleece-Kapuze. Über den dunklen Rücken tanzte ein Sprühregen kleiner roter Sternchen. Ich hatte das auffällige Stück an Silvester in einem Second-Hand-Laden in Stockholm entdeckt und Max aufgeschwatzt. Nun lag sie hier im Flur auf dem Hocker. Der Kerl ließ dauernd etwas bei mir liegen. Merkwürdig nur, dass er sie nicht mit in den Norden genommen hatte. Ich warf sie mir über. Etwas zu groß, aber egal. Ich hatte keine Lust auf einen Mantel.
* * *
Die Zicke am Informationstresen trug heute einen Hosenanzug in Hellblau und wollte mich nicht anmelden. »Keine Besuche. Strikte Anweisung vom Chef«, sagte sie und versuchte nicht mal, einen Hauch von Bedauern in ihre Stimme zu legen. Im Gegenteil. Ich hörte Schadenfreude heraus. So leicht wollte ich mich jedoch nicht abwimmeln lassen.
»Danke, ich finde schon selbst hinauf«, säuselte ich und fegte an ihr vorbei zu der Tür, hinter der sich Treppenhaus und Fahrstühle befanden.
»He, Sie können doch nicht einfach …«, hörte ich sie rufen. Der Rest des Satzes – wenn sie ihn überhaupt zu Ende geführt hatte – wurde vom schweren Metall der zufallenden Tür verschluckt.
Behrends erwartete mich bereits vor seinem Büro. Grob packte er mich am Arm und dirigierte mich zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. »Sie sind ganz schön dreist.« Seine Stimme klang verärgert. »Wenn man Ihnen sagt, dass ich beschäftigt bin, dann bin ich beschäftigt! Ich erwarte wichtigen Besuch.«
»Ich denke, ich habe etwas dabei, was Sie interessieren wird.« Ich sprach lauter, als nötig gewesen wäre. »Wenn Sie wollen, können wir das auch gern hier auf dem Flur besprechen.« Freundlich nickte ich einem der geschäftigen Anzugträger zu, die vorbeiflitzten.
Behrends machte kehrt, marschierte vor mir her in sein Büro und knallte die Tür hinter uns zu. »Fünf Minuten. Mehr nicht. Sie sind wirklich eine Nervensäge.« Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch, so, als wolle er möglichst viel Abstand zwischen ihn und mich bringen.
Wortlos schob ich Ausdrucke der Fotos, die wir auf Kurts Digitalkamera gefunden hatten, über die Tischplatte. Ich beobachtete ihn, während er die Fotos durchblätterte. Mir schien, dass er blass wurde. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, weil ich es mir wünschte. Bei dem trüben Tageslicht ließ sich das schwer sagen. Wenn ihn die Bilder aufregten, hatte er sich jedenfalls gut in der Gewalt. Nicht mal mit der Wimper zuckte er, als er die Ausdrucke sorgfältig wieder auf den Tisch legte.
»Ja, und?«, fragte er höflich. Eine seiner dichten Waigel-Brauen war diabolisch in die Höhe gezogen.
Ich betrachtete ihn schweigend.
Auch er sagte nichts.
Schließlich blickte er ungeduldig auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Frau Blauvogel, Sie müssen schon sagen, was Sie von mir wollen.« Er verschränkte die Finger ineinander und sah mich unverwandt an, das dichte Buschwerk über den Augen merkwürdig gegeneinander versetzt. »Ansonsten stehlen Sie meine Zeit.«
»Die Fotos habe ich unter Kurt Türaufs Sachen gefunden.« Ich nahm die Ausdrucke vom Tisch und blätterte sie durch, schnell, wie bei einem Daumenkino.
»Ja? Und was bitte ist so schlimm daran? Das sind alles gute Freunde von mir. Wir spielen Doppelkopf zusammen, wenn unsere Zeit es zulässt.«
»Aha. Beim Doppelkopf lässt es sich sicher
Weitere Kostenlose Bücher