Innere Werte
und blickte auf seine Schuhspitzen.
»Wissen Sie, dass viele Täter nochmal zum Ort der Tat zurückkommen?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Frau Wellner ist ermordet worden. Vielleicht haben Sie sie am Dienstag getötet, weil Sie Ihnen kein Geld geben wollte.«
»Ich bin doch kein Mörder.«
»Nur seltsam, dass Sie bei allen unseren Morden in letzter Zeit irgendwie in der Nähe sind.«
»Das sind verdammte Zufälle.«
»Ein chinesisches Sprichwort sagt: Man muss schon sehr lange mit geöffnetem Mund auf einem Stuhl sitzen, bis einem gebratene Enten hineinfliegen.« Vielsagend zog Dieter die Augenbrauen hoch.
»Was genau soll das bedeuten?« Gleisinger runzelte verständnislos die Stirn.
»Vergessen Sie’s!« Dieter winkte ab. »Sagen Sie uns doch mal, wo Sie am Dienstag gegen siebzehn Uhr waren?«
Nervös fuhren Gleisingers Augen hin und her. »Ich war zu Hause.«
So sehr die Männer auch nachfragten, mehr war aus ihm nicht herauszubekommen, so dass sie es zunächst dabei bewenden ließen und zurückfuhren.
78
»Sandor!« Ohne Gruß kam Egon Milster in Martins Büro. »Ich erhielt eben einen Anruf.«
»Wieder mal von Wellners oder Stadlers Anwalt?«, fragte Martin gelangweilt.
»Nein«, sagte Milster langsam und in einem ernsten Ton, dass Martin aufhorchte. »Von der JVA. Theo Stadler ist tot in seiner Zelle gefunden worden.«
»Was?« Martin sprang auf und starrte Milster entsetzt an.
»Hat er sich umgebracht?«, fragte Michael.
»Ich nehme es doch an. Er wird gerade obduziert.«
»So eine Scheiße!«, rief Martin aus tiefstem Herzen.
»Jetzt regen Sie sich mal nicht so auf. Sie haben den Fall Wellner doch quasi schon aufgeklärt. Stadlers Fingerabdrücke auf der Todesspritze, kein Alibi, prima Motiv. Was wollen wir mehr. Und den Steuerzahler kostet der Kerl jetzt auch nichts mehr.«
»Ich fahre zur Rechtsmedizin. Der hat sich nie und nimmer umgebracht. So ein Typ wie der Stadler doch nicht.«
»Man weiß nicht, was in den Menschen plötzlich vorgeht, wenn sie in einer Zelle sitzen und ihrer Zukunft als Sträfling entgegensehen.« Milster ging zur Tür. »Wenn Sie was wissen, kommen Sie kurz bei mir vorbei.«
Michael begleitete Martin zu Dr. Stieber, während Paul und Dieter sich in der JVA nach den Geschehnissen erkundigten.
Der Rechtsmediziner war mit der Obduktion bereits fertig.
»Prost Neujahr, die Herren!«, begrüßte er die Beamten.
»Vielleicht sollten wir aufgrund der Ereignisse eher Prost Mahlzeit sagen«, entgegnete Martin.
»Sehr passend, Sandor. Sie wissen gar nicht, wie passend.«
Fragend blickte Martin den Arzt an.
»Diesem Theo Stadler ist seine letzte Mahlzeit nicht bekommen. Er hat Schokopralinen mit tödlicher Füllung gegessen. Welches Gift da drin war, muss sich im Labor erst noch herausstellen. Aber es besteht kein Zweifel, dass die Todesursache Gift war.«
»Schon wieder Gift?«, wunderte sich Martin.
»Ja, die Parallele ist mir auch aufgefallen«, sagte Stieber nachdenklich. »Haben Sie eine Frau unter Ihren Verdächtigen?«
Martin dachte an Katrin Buhr, Karola Wellner, Delia Wolff.
»Sie wissen doch, wenn Frauen morden, dann zu neunzig Prozent mit Gift.«
»Ja, ich weiß. Der klassische Mord von zarter Hand.«
»Schokopralinen«, wunderte sich Michael. »Wie kam er denn da dran?«
»Das werden uns hoffentlich gleich Dieter und Paul erklären. Gibt’s noch was, was Sie uns sagen können?«, wandte Martin sich Stieber zu.
»Todeszeitpunkt war heute Morgen zwischen fünf Uhr zehn und fünf Uhr dreißig. Nach dem Mageninhalt zu urteilen, hat er die Pralinen am späten Abend gegessen. Und das Zeug, das ihn umgebracht hat, hat ziemlich schnell gewirkt. Bevor er starb, kam es zu einer Blutfülle aufgrund einer Lähmung der Kapillargefäße, die auf ein Zellgift schließen lassen. Dann hatte er blutige Durchfälle und wir haben Erbrochenes in Speiseröhre und Rachenraum gefunden. Letztlich ist er an Herzversagen nach Atemlähmung gestorben. Das war kein leichter Tod. Ich schätze, er hat sich ganz schön gequält.«
Wenig später erfuhr Martin von Paul und Dieter, dass die Justizvollzugsbeamten in Stadlers Zelle eine leere Packung Pralinen samt einer Grußkarte von Delia Wolff gefunden hatten. Auf der Karte stand:
Lieber Theo, anbei ein bisschen Nervennahrung und
ein kleines Trostpflaster.
Ich weiß, du bist unschuldig. Meine Gedanken sind bei dir.
Halt die Ohren steif.
Du schaffst das.
Alles Liebe, Delia
Zusammen mit Dieter
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