Innere Werte
Auftrag von Delia, die er dadurch zwar ans Messer liefert, aber als Opfer kommt sie vielleicht gerade recht. Er macht mir nicht den Eindruck, als wäre er ein Mensch, der zu hingebungsvoller Liebe fähig ist.«
»Guter Ansatz«, überlegte Martin. Auch die anderen hielten diese Möglichkeit für absolut nachvollziehbar.
Delia Wolff ließen sie gehen, nachdem sie sich eine Schriftprobe von ihr hatten geben lassen. Sie verglichen sie mit dem Kartentext. Auch ohne das Ergebnis des grafologischen Gutachtens konnte jeder auf den ersten Blick sehen, dass die Handschriften völlig unterschiedlich waren.
»Hier!« Martin tippte mit dem Finger auf die Karte. »Auch der Text ›Ich weiß, dass du unschuldig bist‹ spricht eigentlich Bände. Natürlich weiß er es, wenn er es selbst war. Außerdem wäre es für ihn wahrscheinlich eine Leichtigkeit, eine Spritze mit Stadlers Fingerabdrücken zu besorgen.«
»An der Quelle saß der Knabe!«, sagte Michael.
»Also, seid so gut und holt den Wellner wieder her. Irgendwann wird er schon reden. Ich geh zum Staatsanwalt und versuche ihn zu überreden, einen Haftbefehl zu beantragen.«
»Was ist mit der Theorie, dass eher Frauen Giftmörderinnen sind?«, gab Dieter zu bedenken.
»Es ist eben eine Theorie.«
»… die aber statistisch nachgewiesen ist.«
»Du weißt, was ich von Statistiken halte«, erwiderte Martin und beendete damit das Gespräch.
Der Staatsanwalt weigerte sich, einen Haftbefehl zu beantragen. Ihm waren die vorgebrachten Gründe nicht eindeutig genug. Er wollte nichts unternehmen, ehe der Kommissar nichts Konkreteres als seine Vermutungen vorzuweisen hatte. Er riet ihm, das grafologische Gutachten abzuwarten.
So vernahmen sie Wellner erneut und mussten ihn anschließend gehen lassen, ohne etwas erfahren zu haben. Er hatte nach wie vor alles abgestritten und nichts weiter zu sagen. Auch von ihm wurde eine Schriftprobe genommen und ins Labor geschickt. Das grafologische Gutachten würde morgen vorliegen.
Am Abend kam das Ergebnis der Toxikologie. Bei dem Gift handelte es sich um ein Extrakt, das aus den Samen der Herbstzeitlosen stammte, die auch als Giftkrokus bezeichnet wurde. Eine Pflanze, die Colchicin beinhaltete, das als Zellgift wirkte und innerhalb von zwei bis sechs Stunden tödlich war. Die Vergiftung führte zur Schädigung von Nervenzellen, zu Störungen der Nervenfunktionen und zur Lähmung des Vasomotorenzentrums, das die Verengung und Erweiterung der Gefäße regulierte. Erfahrungsgemäß musste es beim Opfer zu Erbrechen, blutigen Durchfällen und Koliken gekommen sein. Außerdem verursachte das Gift Schwindelanfälle, starke Angstzustände und Delirien, bis es schließlich nach Blutdrucksenkung und Temperaturabfall zur Atemlähmung und Herzversagen kam.
Die Substanz war gut in Körperflüssigkeiten lösbar, so dass das Gift im Zusammenspiel mit Speichel schnell toxisch wirken konnte. Zwanzig Milligramm waren in der Regel für einen Menschen tödlich. Das Labor hatte fünfunddreißig Milligramm Colchicin bei Stadler nachgewiesen.
»Ich habe nie von dieser Pflanze gehört«, sagte Martin, nachdem er den Kollegen den Bericht vorgelesen hatte.
»Und dabei wurde sie erst letztes Jahr zur Giftpflanze des Jahres gewählt«, wusste Dieter zu berichten.
»Wer wählt denn eine Giftpflanze des Jahres?« Paul schüttelte den Kopf. »So ein Quatsch.«
»Die Herbstzeitlose ist ein hervorragendes Mittel gegen Gicht«, erklärte Dieter weiter. »Und ich meine, auch im Zusammenhang mit Hautkrebs und Leukämie schon mal davon gehört zu haben.«
»Das Zeug wird als Arznei verwendet?«, fragte Michael ungläubig.
»Soweit ich weiß, schon. Natürlich nur als Fertigpräparate, die wahrscheinlich so dosiert sind, dass sie keinen Schaden anrichten.«
»Das sollten wir klären.«
Paul wurde beauftragt, am nächsten Morgen entsprechende Informationen einzuholen.
79
»Ich hab mich einwickeln lassen. Ich hab mich tatsächlich täuschen lassen.« Martin fuhr im Bett hoch. »Das gibt’s doch nicht!«
»Was ist?«, fragte Karla verschlafen.
»Ich liege schon seit fünf Uhr wach und grübele über diese verdammten Mordfälle. Und jetzt weiß ich, wer es war. Zumindest glaube ich das.«
»Na, dann wird’s Zeit, aufzustehen«, sagte Karla und schlug die Decke zurück. »Ich mach dir schnell einen Kaffee.«
»Du bist ein Schatz!« Er küsste sie auf die Nasenspitze.
Um acht saß Martin ungeduldig im Büro und wartete auf seine
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