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Innere Werte

Innere Werte

Titel: Innere Werte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hamann
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korpulente Frau mit Lockenwicklern auf dem Kopf lugte misstrauisch aus der ersten Tür im Erdgeschoss. Martin stellte sich vor und fragte nach dem Namen der Frau.
    »Inge Schulze.«
    »Frau Schulze, wir suchen die Wohnung von Peter Bielmann.«
    »Bielmann?« Sie runzelte die Stirn. »Hier wohnt kein Bielmann.«
    »Hat er denn mal hier gewohnt?«
    »Keine Ahnung.«
    Martin zeigte der Frau das Foto von Bielmann.
    »Doch, den habe ich hier schon mal gesehen.« Sie tippte mit dem Zeigefinger auf sein Gesicht. »Ist aber schon ’ne Weile her. Ich glaub, der ist ausgezogen.«
    »Hat er hier alleine gelebt?«
    »Das weiß ich doch nicht«, gab sie pampig zurück. »Ich misch mich doch nicht in fremde Angelegenheiten.«
    »Wissen Sie, in welcher Wohnung er gewohnt hat?«
    »Ich glaub, im dritten Stock rechts.«
    »Vielen Dank!«, sagte Martin.
    »Aber was wollen Sie denn von ihm?«, rief sie den Beamten, die sich dem Treppenhaus zuwandten, hinterher.
    »Wir ermitteln in einem Mordfall«, erklärte Martin über die Schulter hinweg.
    Frau Schulze riss die Augen auf, drehte sich um und rief in die Wohnung: »Karl, stell dir mal vor …« Mehr hörte man nicht, denn da hatte sie ihre Wohnungstür schon zugeworfen.
    »Na, wenn das nicht das Thema des Tages wird«, murmelte Dieter.
    Martin gab den Kollegen Zeichen, ihm zu folgen. An der Wohnungstür im dritten Stock las er das Klingelschild: H. Bauer. Er läutete. Ein älterer Herr mit Glatze öffnete und musterte die Männer aus zusammengekniffenen Augen. Als er hörte, dass sie von der Polizei waren, entspannten sich seine Gesichtszüge und er bat sie, einzutreten. In der Wohnung roch es muffig und löste sofort das Bedürfnis aus, sämtliche Fenster aufzureißen. Das Wohnzimmer war spärlich eingerichtet und auf den wenigen Möbeln lag eine dicke Staubschicht. Auch der Mann, klein und untersetzt, schien in letzter Zeit weder mit Wasser in Kontakt gekommen zu sein, noch die Kleidung gewechselt, beziehungsweise gewaschen zu haben. Ihn umgab eine Wolke undefinierbaren Geruchs, die jeden Besucher zwangsläufig auf Abstand hielt.
    »Sie sind also Herr Bauer?«
    »Ja, der bin ich. Was kann ich denn für Sie tun, Herr Kommissar?« Freundlich blickte er Martin an. Sein Lächeln gab den Blick auf schlechte, teils gelbe, teils fehlende Zähne frei.
    »Wir sind auf der Suche nach der Wohnung von Peter Bielmann.«
    »Bielmann? Das war mein Vorgänger. Der ist vor zwei Monaten hier ausgezogen. Ich habe ihn nur einmal bei der Wohnungsbesichtigung gesehen.«
    »Wissen Sie, warum er ausgezogen ist oder wo er jetzt wohnt?«
    Der Alte kratzte sich am Kopf. »Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber vielleicht weiß es der Vermieter. Oliver Braunburg.«
    »Haben Sie eine Telefonnummer oder eine Adresse von ihm?«
    »Ja, sicher.« Eilig lief er in ein anderes Zimmer, um kurz darauf mit einem Ordner wiederzukommen. Schnell hatte er den Mietvertrag herausgeholt und Martin überreicht. Der notierte sich die Personalien, während Herr Bauer den Männern einen Kaffee anbot. Als sie dankend ablehnten und sich verabschiedeten, machte er ein enttäuschtes Gesicht.
    »Der Mann bekommt wohl nicht so oft Besuch«, sagte Dieter im Treppenhaus.
    »Den Eindruck hatte ich auch, aber wem kann man’s verdenken. Das Ambiente war nicht gerade einladend.«
    Martin schickte den Kollegen vom Erkennungsdienst unverrichteter Dinge zurück. Bis sie wussten, wo der Tote zuletzt gewohnt hatte, gab es für ihn nichts zu tun. Zusammen mit Paul und Dieter befragte Martin anschließend alle Hausbewohner nach dem ehemaligen Nachbarn. Doch keiner von ihnen konnte Angaben machen, wie lange Peter Bielmann hier gewohnt und mit wem er Kontakt gehabt hatte, wer seine Freunde oder Bekannten waren. Die meisten kannten nicht mal seinen Namen. Erst beim Anblick des Fotos erinnerten sich einige wenige, ihn doch schon mal gesehen zu haben. Jetzt, wo er tot war, wurde er zum ersten Mal interessant und überhaupt bemerkt.
    »Mann, ist das erschreckend«, sagte Paul, als sie den Wohnblock verließen. »Die leben Tür an Tür mit einem Menschen und wissen nichts, aber auch gar nichts über ihn.«
    »Ja«, stimmte Dieter ihm zu, »in diesen Trabantenstädten leben die Leute total anonym nebeneinander her. Und dabei hätten viele von ihnen sicher gerne Kontakte. Denkt nur mal an den alten Mann von vorhin. Der verkörpert für mich die drängenden Probleme von Isolation und Verwahrlosung.«
    »Da kann man ja echt Depressionen kriegen.« Paul

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