Innere Werte
ganzen Tag solchen Spuren nachgehen?«
»Im Grunde schon. Wir sind immer auf der Suche nach Indizien und Zeugen. Das ist sozusagen unsere Hauptaufgabe, die letztlich zum Täter führt oder führen soll.«
»Wenn Sie den Typen schnappen, bin ich quasi schuld daran?« Die Vorstellung schien Simon zu gefallen.
»Wenn es der ausschlaggebende Hinweis war, dann schon.« Martin lächelte. »Oft sind es viele verschiedene Kleinigkeiten, die die Lösung bringen, fast wie bei einem Puzzlespiel.«
»Ich hab nie daran gedacht, zur Polizei zu gehen«, sagte Simon nachdenklich und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Komisch!«
»Was arbeitest du denn?«
»Ich bin Mechatroniker. Letzten Sommer fertig geworden.«
»Macht dir dein Beruf Spaß?«
»Hält sich in Grenzen. Oft ist es langweilig. Während der Lehre habe ich schon gedacht, das ist auf Dauer nichts für mich. Aber da hatte ich eben schon angefangen und wollt das dann auch durchziehen. Nur rumchillen bringt’s ja nicht.« Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Und weiter in den Bildungsschuppen gehen, wollt ich auch nicht. Eigentlich bin ich nur auf Mechatroniker gekommen, weil ich mit meinen Kumpels immer an unseren Maschinen rumgeschraubt habe.« Etwas unsicher blickte er zu Martin hinüber. »Erzählen Sie mir noch ein bisschen von Ihrem Job?«
Martin lächelte und tat Simon den Gefallen. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile. Simon hörte aufmerksam zu und stellte viele Fragen.
»Wenn dich das wirklich interessiert«, sagte Martin abschließend, »dann gebe ich dir Infos über die Ausbildung und die verschiedenen Möglichkeiten, bei der Polizei zu arbeiten.«
»Das wär voll cool.« Seine Augen leuchteten.
In dem Moment klingelte Martins Handy.
»Hi, Süße!«, hörte Simon Martin sagen und grinste. »Ja, gute Idee. Ich bin hier auch fertig. … Bis gleich!«
»Was war’n das?«
»Neugierig bist du überhaupt nicht, was?«
»Ach was, ich will ja nicht wissen, wer dran war. War ja nicht zu überhören, dass es Ihre Süße war. Ne, aber Ihr Klingelton. Das ist doch Who wants to live forever ?«
»Hätte nicht gedacht, dass du das kennst.«
»Meine Mutter hat noch ’ne Fossilscheibe von Queen.«
»Fossilscheibe?« Martin lachte. »Meinst du Schallplatte?«
»Sie sind voll der Expresschecker!« Simon hielt ihm seine rechte Faust mit erhobenem Daumen entgegen.
Martin schüttelte lächelnd den Kopf und fragte sich, ob Leute in seinem Alter von der Jugend auch Fossile genannt wurden. Ihn würde es nicht wundern.
»Aber finden Sie Ihren Klingelton nicht ein bisschen makaber in Ihrem Job?«, fragte Simon.
»Es hilft, den Ernst der Lage etwas erträglicher zu machen und sich nicht zu wichtig zu nehmen.«
»Sie sind schon ein saustarker Typ!« Simon nickte anerkennend.
»Ich nehm das jetzt mal als Kompliment.«
Die Art, wie Simon sprach, amüsierte Martin. Diese Ausdrucksweise war für den Mittvierziger eher ungewohnt. Er wusste, dass diese Sprache durch die oft unverblümten Ausdrücke in der Gesellschaft nicht gut angesehen war. Auch in seinem Bekanntenkreis regten sich viele über die Jugendsprache auf. Martin selbst fand sie überhaupt nicht schlimm. Außerdem waren manche Ausdrücke wirklich lustig. Statt zu schimpfen, könnte man sich auch über den Einfallsreichtum der nachfolgenden Generation freuen, fand er. Manches hörte sich fast an wie Geheimsprache. Aber versuchte nicht jede Generation, sich von der der Eltern abzugrenzen?
Martin beobachtete den jungen Mann, nachdem er ihm ein Infoheft über die Aufgaben der Polizei in die Hand gedrückt hatte. Wie gerne hätte er einen Sohn gehabt. Vielleicht einen wie Simon. Einen, dem er fürs Leben etwas mitgeben, den er beschützen und von dem er etwas lernen könnte, der ihn jung hielt. Er stellte sich das Vater-Sein schön vor. Sicher nicht immer, aber grundsätzlich musste es etwas sein, dass das Leben bereicherte. Manchmal glaubte er, dass ihm ohne Kinder etwas fehlte. Besonders in Augenblicken wie diesem oder wenn er Väter mit ihren Kindern beobachtete. Und da gab es solche Idioten, die tolle Söhne wie Simon hatten und sie einfach im Stich ließen. Viel konnten die tatsächlich nicht in der Birne haben.
Damals, als er zum ersten Mal verheiratet gewesen war und über Kinder nachgedacht hatte, war er der Meinung gewesen, dass er den Spagat zwischen Arbeit und Privatleben inklusive Kind nicht bewerkstelligen könnte. Er hatte schlicht und ergreifend Angst gehabt, sich auf das
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