Innere Werte
Arbeit offensichtlich nicht besonders geeignet waren? Was bedeutete das? Der Mörder hatte es entweder eilig und nichts anderes greifbar gehabt oder … Nichts anderes greifbar? Solche Handschuhe hatte man nicht im Haushalt, die hatten nur Mediziner. Überhaupt deutete alles auf eine Verbindung zur Medizin hin. Da waren sie sich einig. Und diese Wunde.
»Hast du Hunger?«, hörte er Karla fragen.
»Ja, ein bisschen. Hast du was Gutes entdeckt?«
»Noch nicht, aber lass uns diesen Gang runtergehen, da gibt’s eine Menge Köstlichkeiten.«
Sie zog ihn mit sich. Die Buden verströmten die verschiedensten Düfte, so dass ihnen buchstäblich das Wasser im Munde zusammenlief. Martin las die Tafeln mit all den leckeren Gerichten, die es einem schwer machten, sich zu entscheiden. Da gab es Bratwürste aller Art, Waffeln, Champignonpfanne, chinesische Nudeln, Nierenspieße, Crêpes, … Plötzlich blieb er stehen. Nachdenklich starrte er auf ein ganz bestimmtes Schild.
»Hast du Lust auf Nierenspieße?«, fragte Karla prompt.
Aber Martin hörte sie gar nicht. Er konzentrierte sich auf sein Gefühl, das ihm schon wieder eine Verbindung zu seinem Fall beschert hatte und ihm ein Bild von aufgespießten Nieren suggerierte. Menschliche Nieren aus toten Körpern. Aufgeschlitzte Flanken. Was, wenn man Bielmann die Niere rausgeholt hatte?, schoss es ihm durch den Kopf.
Karla stupste ihn an und wiederholte ihre Frage.
»Du spinnst ja!«, sagte er.
»Was?«, entgeistert starrte Karla ihn an.
»Nein, nein!«, erklärte er schnell. »Ich hab mit mir gesprochen. Entschuldige, ich war in Gedanken.« Er blickte sich um. »Also, mir ist der Appetit auf was Herzhaftes gerade vergangen. Ich brauch was richtig Süßes.«
»Wie wär’s mit Crêpes? Darauf hätte ich auch Lust.«
Sie mussten eine ganze Zeitlang am Crêpes-Stand anstehen und Martins Gedanken waren schon wieder auf Abwegen. Eines stand doch fest, bei der OP von Bielmann war wahrscheinlich irgendwas nicht mit rechten Dingen zugegangen. Und wenn das so war, bedeutete das, dass die OP möglicherweise illegal war. Welche OP ist illegal?, überlegte er. Sollte man Bielmann doch irgendwelche Organe entnommen haben?
In dem Moment wurde ihm sein Crêpe gereicht. Gedankenverloren biss er hinein.
»Was ist los mit dir? Beschäftigt dich was?« Forschend blickte Karla ihrem Mann in die Augen.
»Ich werde die Gedanken an unseren aktuellen Fall nicht los.«
»Der Mann in der Kläranlage?«
Martin nickte mit vollem Mund. »Nur weil ich Nierenspieße lese, komme ich auf den Gedanken, dass unser Opfer vielleicht eine Nieren-OP hatte. Ich glaube, ich bin nicht mehr ganz bei Trost.« Er schüttelte den Kopf. »Lass uns nach dem Crêpe noch einen Glühwein trinken, damit mein Hirn auf andere Gedanken kommt«, sagte er und dachte: Ich muss Montag unbedingt mit Stieber sprechen.
Bevor er sich noch mehr Gedanken über den Montag machen konnte, verwickelte Karla ihn in ein Gespräch. Martin durchschaute ihre Absicht sofort und lächelte vor sich hin. Karla hatte die Gabe, immer zu erkennen, was er brauchte, und war in der Lage, ihm das Leben zu erleichtern. Gefühle anderer konnte sie feinfühlig wahrnehmen und in ihrer fürsorglichen und warmherzigen Art reagierte sie darauf. Martin zog sie dankbar noch enger an sich.
Eine halbe Stunde und zwei Glühwein später waren sie beide so durchgefroren, dass sie sich frohgelaunt auf den Heimweg machten. Schließlich warteten dort ein warmes Bett und eigentlich auch ein erholsamer Sonntag.
24
Für einen Moment schloss Edith Schmaler die Augen, blieb stehen und reckte ihr Gesicht dem Himmel entgegen. Tief atmete sie ein. Herrlich, diese klare, kalte Winterluft, dachte sie. Dieses Schmuddelwetter die ganze Zeit war ja nicht zum Aushalten gewesen. Alle ihre Freundinnen beklagten sich, wenn die Kälte kam, und fuhren zum Überwintern in wärmere Gefilde. Edith aber blieb zu Hause und genoss die frostigen Temperaturen. Ihren alten Knochen machte das nichts aus. Das war alles nur eine Frage der Kleidung, wie sie fand.
Mit der Nassauischen Touristikbahn war sie bis zur Eisernen Hand gefahren, um von dort aus über die vielen schönen Waldwege zum Chausseehaus zu wandern. Keine Menschenseele war an diesem Nachmittag hier unterwegs. Sie lauschte in die Stille. Dann öffnete sie die Augen und blinzelte in die Sonne, die hinter einer Wolke hervorlugte. Langsam spazierte sie den Waldweg entlang. Der Frost hatte den Wald verzaubert. Das Laub am
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