Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Innere Werte

Innere Werte

Titel: Innere Werte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hamann
Vom Netzwerk:
einladender Anblick. Das Einzige, das etwas trostlos wirkte, war der kleine Innenhof, über den man zur Eingangstür gelangte.
    Martin hatte die örtliche Pfarrerin Christa Gellweiler verständigt, die wohl innerhalb der nächsten Viertelstunde eintreffen würde, um die Angehörigen aufzufangen, falls das notwendig sein sollte. Tobias war mit seinen einundzwanzig Jahren zwar schon erwachsen, aber er hatte allein mit seiner Mutter gelebt. Noch wusste Martin nicht, ob sich andere Verwandte um den Sohn kümmern konnten.
    Paul warf Martin einen angespannten Blick zu, bevor er auf die Klingel drückte. Die Tür wurde nur Sekunden später geöffnet und die Beamten standen einem großen, jungen Mann gegenüber, der sie aus seinen grün-braunen Augen fragend ansah.
    »Guten Abend«, begann Paul, »mein Name ist Fischer und das ist Kommissar Sandor.«
    »Das ging aber schnell.« Der überraschte Ausdruck im Gesicht des jungen Mannes irritierte Paul. Ratlos sah er Martin an.
    »Können wir vielleicht hereinkommen?«, fragte Martin.
    »Sicher!« Tobias trat zur Seite und ließ die Männer eintreten. Er ging voraus ins Wohnzimmer.
    »Sie haben uns erwartet?«
    »Eigentlich nicht, aber vielleicht ist das ja üblich, dass sie in so einem Fall zu Hause vorbeikommen?«
    »In welchem Fall?«
    Jetzt war es Tobias, der die Polizisten erstaunt ansah. »Sie sind doch wegen meiner Mutter hier, oder?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Kommen Sie, um ein Foto von ihr zu holen?«
    Paul war verwirrt. »Ein Foto. Wieso ein Foto?«
    »Sie brauchen doch sicher eins, um sie zu finden.« Es entstand eine kleine Pause und Tobias blickte von Paul zu Martin. »Oder haben Sie sie schon gefunden?« Erwartungsvoll sah er die Beamten an.
    Jetzt dämmerte es dem Kommissar. »Haben Sie bei der Polizei angerufen, um Ihre Mutter als vermisst zu melden?«
    »Ja, vor einer Stunde. Aber warum fragen Sie mich das? Sind Sie nicht deshalb hier?«
    Paul zog ein Foto von Anja Schulte aus seiner Tasche und reichte es Tobias. »Ist das Ihre Mutter?«
    »Ja, das ist sie.«
    Martin warf Paul einen vielsagenden Blick zu, der ihm bedeutete, jetzt zum Punkt zu kommen.
    »Wir wussten nichts von Ihrer Vermisstenanzeige, aber …« Paul zögerte. Durch seine Worte würde er das Leben dieses Jungen, der nicht viel jünger war als er selbst, grundlegend verändern. Er fühlte sich hilflos und wie gelähmt. Warum gab es für solche Fälle keine Regeln, keine Anleitung? »Wir haben Ihre Mutter gefunden.«
    »Und wo ist sie?«
    »Herr Schulte, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mutter tot ist.«
    »Was?« Tobias schüttelte den Kopf, als hätte er nicht verstanden.
    »Es tut uns sehr leid.«
    »Nein, das kann nicht sein.« Schlagartig wich die Farbe aus seinem Gesicht.
    »Setzen Sie sich, Tobias«, sagte Martin und griff den Jungen am Arm.
    »Sie kann doch nicht tot sein.« Tobias schüttelte wieder den Kopf. »Das glaub ich nicht.« Er ließ sich in den Sessel fallen.
    »Dem Foto nach zu urteilen, handelt es sich um Ihre Mutter. Um absolut sicher zu sein, muss sie noch identifiziert werden. Haben Sie Verwandte, die das vielleicht für Sie übernehmen könnten?«
    Tobias antwortete nicht auf Martins Frage. »Wo haben Sie sie gefunden?«
    »Im Winterbruch, im Wald.«
    »Im Wald?«
    »Die Todesursache ist noch nicht völlig geklärt«, sagte Paul. »Aber wir schließen Fremdeinwirkung nicht aus.«
    »Sie meinen, jemand hat sie umgebracht?«
    »Das wissen wir noch nicht. Aber allein die Tatsache, dass sie nackt gefunden wurde, lässt das vermuten.«
    »Nackt?« Tobias riss die Augen auf und starrte Paul an. »Ich glaub, mir wird schlecht.« Er hielt sich die Hand vor den Mund und stürzte aus dem Raum.
    »Mann, Paul«, fuhr Martin seinen Kollegen an. »Die Einzelheiten hättest du dir für später aufheben können.« Kopfschüttelnd folgte Martin dem Jungen, doch der hatte die Tür zum Bad abgeschlossen. Man hörte, wie er sich übergab, wenig später ging die Toilettenspülung.
    »Tobias«, rief Martin. »Machen Sie bitte die Tür auf.«
    »Ich komme gleich«, hörte er eine schwache Stimme von drinnen.
    Martin lehnte sich gegen die Wand, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und schloss für einen Moment die Augen. Diese Situationen waren doch immer wieder die schlimmsten in seinem Beruf. Das Leid der Angehörigen war kaum zu ertragen. Wäre es nicht schön, jetzt die Augen zu öffnen und festzustellen, dass alles nur ein Alptraum war?
    An der Haustür läutete es und Martin

Weitere Kostenlose Bücher