Innere Werte
müssen Sie ihre Besichtigungstour verschieben. Aber erst dürfen Sie noch ihre Personalien bei meinen Kollegen abgeben.«
»Was ist denn genau passiert? Wer ist denn tot?« Unverhohlene Neugier schwang in der Stimme eines älteren Mannes mit, der jetzt aus der Gruppe hervortrat und neugierig das abgesperrte Gebiet mit den Augen absuchte.
»Sie glauben doch nicht, dass die Ihnen eine Antwort darauf geben. Das tun die nie.«
»Hier spricht der Fachmann von der Presse«, kommentierte Martin die Bemerkung. »Alle begeben sich bitte zu den beiden Kollegen dort drüben und dann verlassen Sie den Wald. Nur der Vertreter des Forstamtes kommt bitte zu mir.«
Der Geräuschpegel nahm wieder zu. Alle redeten durcheinander, während sie zu den angewiesenen Polizisten gingen. Ein Mann, ganz in Grün gekleidet, kam auf Martin zu.
»Ich bin Jens Plinke vom hessischen Forstamt«, stellte er sich vor.
»Sandor von der Mordkommission Wiesbaden. Sie kommen mir wie gerufen. Ich würde gerne wissen, wie oft Sie oder Ihre Kollegen hier im Wald unterwegs sind.«
»Also, einer von uns ist immer unterwegs. Allein der Weg zum Forstamt führt ja jeden Tag durch den Wald.«
»Kontrollieren Sie regelmäßig alle Waldwege?«
»In bestimmten Abständen schon.«
»Würden Sie sagen, dass das hier eine eher einsame Waldgegend ist?«
»Dieser Weg speziell liegt jetzt nicht auf einem der typischen Wanderwege. Natürlich gibt’s auch hier Spaziergänger, aber vor allem Mountainbiker. Das ist die perfekte Strecke dafür.«
»Hört sich an, als ob Sie auch ein Fan davon sind.«
»Richtig. Ich mache meine berufsbedingten Touren auch oft mit dem Rad. Manchmal ist das einfach praktischer, aber vor allem umweltschonender.«
»Könnten Sie für mich feststellen, wer gestern Dienst hatte?«
»Das kann ich Ihnen auch so schon sagen. Ich war derjenige welcher.«
»Sie sind nicht zufällig hier vorbeigekommen?«
»Nein, leider nicht. Es war ein ruhiger Tag. Ich war fast nur im Büro.«
»Haben Sie trotzdem etwas Außergewöhnliches gehört oder gesehen?«
»Nein. Alles war normal. Aber sagen Sie, wann wird das Gebiet hier wieder zugänglich sein?«
»Kann ich nicht genau sagen, vielleicht schon morgen.«
Jens Plinke nickte.
Martin hatte zunächst keine weiteren Fragen und verabschiedete den Mann.
26
Kurz darauf verließ auch Martin den Tatort und fuhr ins Präsidium. Auf seinem Schreibtisch fand er eine Mappe mit den ersten Fotos der Toten und allen Informationen, die Michael inzwischen zusammengetragen hatte. Martin nahm die Seiten in die Hand, ging damit hinüber zum Heizkörper und lehnte sich dagegen. Er war völlig durchgefroren. Die Wärme im Rücken empfand er als puren Luxus, wenn er an die Tote dachte. Ihr würde es nie wieder warm werden. Und den Angehörigen würde es auch einen eiskalten Schauer über den Rücken jagen, wenn sie von ihrem Tod und der Fundstelle erfahren würden, von der Todesursache, was immer es war, ganz zu schweigen. Martin betrachtete eines der Fotos. Die Frau schien um die vierzig. Womöglich hatte sie einen Ehemann, der sie liebte. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Eltern noch lebten, war ziemlich groß. Hoffentlich hatte sie keine Kinder, wenigstens keine kleinen, die jetzt die Mutter verloren hatten. Martin zwang sich, diese Gedanken beiseite zu schieben. Er war für die Routine, die jeder Fall zu Beginn mit sich brachte. Das und seine langjährige Erfahrung ermöglichten ihm, die Fälle nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen und Gefühle zu entwickeln, die ihm den objektiven Blick verstellten.
Der Kommissar konzentrierte sich auf seine Unterlagen. Auf der ersten Seite war die handschriftliche Notiz, dass die Tote nicht als vermisst gemeldet war. Dann hielt er den Ausdruck des Wetterberichtes in der Hand und las ihn sorgfältig durch. Die Temperaturen waren vor drei Tagen stark gesunken, am Tag auf minus fünf Grad, in der Nacht auf minus elf. In der letzten Nacht war noch ein starker Ostwind hinzugekommen. Martin überlegte, wie lange es bei dieser Kälte wohl dauerte, bis man erfroren war. Er nahm sich vor, Dr. Stieber danach zu fragen. Ihn wollte er ohnehin wegen Bielmann noch sprechen. Der Kommissar hoffte, dass er in Zukunft nicht öfter als nötig mit diesem Robert Richard zu tun haben würde. Auf Stieber wollte er keinesfalls verzichten.
Draußen war es dunkel geworden und Martin schaltete gerade das Licht an, als Michael hereinkam.
»Hallo, Martin. Hast du die Unterlagen schon
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