Innere Werte
Selbstmordtheorie«, warf Milster erfreut ein. »Dieses Kalium scheint doch ein gutes Mittel zu sein, um bewusstlos zu werden. Alkohol und Kälte obendrauf und schon war’s das.« Mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen schritt er wieder auf und ab.
»Ja, und vorher kratzt sie noch ›Bitch‹ in den Boden, um sich selbst anzuprangern, oder was?«, konnte Martin sich nicht verkneifen zu sagen. Ihm gefiel die Art und Weise nicht, wie sein Chef sprach; so, als hätte er gerade die Nadel im Heuhaufen gefunden.
»Warum nicht?«, zischte Milster zurück. »Betrunkene machen doch die verrücktesten Sachen. Warum nicht auch irgendwelches Zeug in den Boden kratzen? Möglicherweise war sie die Mörderin von Bielmann und hat diese Last nicht mehr ausgehalten.«
»Was? Dieses zarte Persönchen?« Martin lachte auf. »Das glauben Sie ja wohl selbst nicht. Wie soll sie ihn denn in den Schacht geworfen haben? Wahrscheinlich könnte sie nicht mal den Schachtdeckel anheben.«
»Vielleicht hat sie Hilfe gehabt.«
»Ja, und vielleicht hat sie sogar ein Motiv gehabt. Das wäre auf jeden Fall nicht schlecht«, sagte Martin mit sarkastischem Unterton.
»Die Frau war Ihnen doch am Telefon schon suspekt. Die hatte mit Sicherheit was zu verbergen.«
Ach, auf einmal, dachte Martin. Letzte Woche hat er noch über meine Einschätzung gelacht.
»Ich bin sicher, Sie finden ein Motiv«, hörte er Milster sagen. »Wenn nicht für den Mord an Bielmann, dann zumindest für ihren Selbstmord.«
»Wenn es eins gibt, dann finden wir es auch.«
»Na, das ist ja schon mal die richtige Einstellung«, lobte Milster großzügig und nickte.
Martin schloss für einen Moment die Augen und rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Das war doch alles Blödsinn. Milster machte ihn ganz verrückt. Er hatte das Gefühl, nicht mehr klar denken zu können.
»Sollte es sich um Fremdeinwirkung handeln, müsste die Schulte ihren Mörder gekannt haben«, sagte Dieter, der Martin beobachtete und wusste, dass Selbstmord für ihn nicht infrage kam. Deshalb versuchte er, das Gespräch wieder in die andere Richtung zu lenken. »Denn wer trinkt schon mit einem Fremden im Wald Alkohol? Außerdem haben wir weder im Wald noch im Auto irgendeine Flasche gefunden.«
»Was wiederum auf Mord hindeutet«, ergänzte Martin. »Ein Selbstmörder hätte doch die Flaschen irgendwo in der Nähe liegenlassen.«
»Ist sie denn überhaupt im Wald gestorben? Vielleicht ist sie dort nur abgelegt worden.«
»Sie ist ziemlich sicher am Fundort gestorben. Der Boden unter der Leiche hatte sich dem Körper angepasst. Das bedeutet, dass sie noch warm, sprich lebend, gewesen sein muss, als sie sich dort hingelegt hat oder wurde. Wäre sie schon tot gewesen, wär auch der Boden unter ihr hart gefroren geblieben.« Martin nahm den Bericht der Spurensicherung in die Hand und reichte ihn den Kollegen. »Außerdem gibt es ziemlich eindeutige Fußspuren Größe achtunddreißig, die von ihr selbst stammen. Zwischen ihren Zehen steckten außerdem noch Laubreste. Also kann man annehmen, sie ist barfuß und selbst an diese Stelle gegangen.«
»Wieder ein Beweis für Selbstmord.« Milster nickte bestätigend vor sich hin. »Oder gibt’s noch andere Fußspuren?«
»Ja, es gibt einige fußähnliche Vertiefungen in der Umgebung, die sich in die gefrorene Laubschicht gedrückt haben. Sie deuten auf Schuhgröße vierzig hin. Und sie sind alle höchstens zwei Tage alt, denn der Frost hat dann ja erst eingesetzt. Aber es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sie von der Frau stammen, die die Tote gefunden hat. Das überprüfen wir noch. Ansonsten gibt es natürlich jede Menge anderer Abdrücke auf den Waldwegen ringsherum, die aber alle älter sein müssen. Neuere würde man gar nicht sehen, weil der Boden so hart gefroren war. Da hinterlässt man zurzeit keinen Abdruck. Das gilt auch für die Spuren rings ums Auto der Toten. Damit ist also nicht viel anzufangen.«
»Und das Auto an sich?«
»Die Spusi ist noch dran.« Martin machte eine kurze Pause. Dann wandte er sich an Dieter. »Gibt’s irgendwas Interessantes vom Arbeitgeber der Toten?«
»Frau Schulte hat in der Bero-Bank in der Kreditabteilung gearbeitet. Bei den Kollegen galt sie als freundlich und engagiert. Für den Arbeitgeber war sie eine unauffällige, zuverlässige Mitarbeiterin. Selbstmord hielten sie alle für ausgeschlossen.«
»Wir wissen ja, wie das mit Selbstmördern so ist«, mischte sich Milster ein. »Den
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