Innerste Sphaere
gewaltig war. Sie waren seine Beute, seine Nahrung, sein Rückgrat. Ein ewiger Schlaf, keine Schmerzen mehr, kein … gar nichts mehr.
Und anstatt Angst zu haben, wurde ich angezogen. Eine Welle der Müdigkeit überkam mich und ich fiel auf die Knie, hieß sie willkommen. Mein Herz schlug träge, bereit, für immer zu schweigen.
Gib nicht auf
, flehte Malachis Stimme, voller Verzweiflung.
Bitte, gib nicht auf. Ich bin direkt auf der anderen Seite der Tür. Ich will dich wiedersehen. Ich muss dich wiedersehen. Bitte.
Irgendwie war das genug, um mich noch einmal aufzurichten. Nur der Gedanke, er könnte mich brauchen, um es zu schaffen. Wenn ich nur weiterging, konnte ich ihn sehen … Mein Gesicht schlug gegen eine harte Oberfläche.
Eine Tür.
Ich riss sie auf und fiel hindurch, kraftlos und keuchend.
Malachi fing mich auf und trug mich weg vom Maul des Gebäudes. Er setzte sich auf den Randstein und drückte mich an seine Brust. Jetzt trug er keine Rüstung mehr. Sein Geruch, nach Leder, nach sauberer, warmer Haut, füllte meine Nase, verdrängte den Übelkeit erregenden Gestank von Rick. Ich saugte ihn tief ein, konnte nicht genug davon kriegen.
Als er mich streichelte, bemerkte ich, dass ich gar nicht dieses enge, kurze Nachthemd trug, sondern die Wächteruniform. Meine Kleider und die Rüstung waren sauber und unversehrt. Ich dachte, ich wäre vom Speichel des Gebäudes bedeckt, aber alles war trocken.
Malachi schnappte nach Luft, als sich seine Finger um meine schlossen. Behutsam löste er mehrere gelockte Haarsträhnen, die sich um meine Finger gewickelt hatten. Sanft berührte er meine Handflächen, fuhr mit den Fingerspitzen über die blutigen Risse, die meine Fingernägel hinterlassen hatten. Er legte seine Hand auf meine Wange und sah mich an. Ohne Scham erwiderte ich seinen Blick, versank in seinen schwarzbraunen Augen. Sie waren voller Sorge. Um mich. Wie sich das für mich anfühlte, konnte ich nicht beschreiben. Fast wäre ich in Tränen ausgebrochen, kämpfte aber mit aller Macht dagegen an.
Malachi sah mich forschend an, als wäre er nicht sicher, ob ich tatsächlich bei klarem Verstand war. »Kannst du mich hören? Geht es dir gut?«
»Das war wirklich mies«, murmelte ich mit heiserer Stimme.
»Ja, das kann man so sagen.« Er drückte mich fester an sich. Das fühlte sich unbeschreiblich gut an.
Mein Gehirn ging wieder online und verarbeitete, was ich sah. Er war sehr blass. »Geht es
dir
gut?«
Er nickte. »Ja. Ich bin schon Hunderte Male da durch gelaufen, also ist es nicht mehr so schlimm wie früher. Ich schaffe es ziemlich schnell. Aber anfangs hätte ich es fast nicht mehr rausgeschafft.«
»Wie bist du an mir vorbeigekommen? Ich bin als Erste rein.«
»Vielleicht bin ich direkt an dir vorbeigelaufen und wir haben es beide nicht bemerkt. Da drinnen bist du immer allein. Allein im Kampf mit deinen schlimmsten Erinnerungen. Deshalb haben die Mazikin solche Angst vor diesem Ort. Sie können nicht beides verarbeiten, ihre eigenen Erinnerungen und die ihres menschlichen Wirts. Sie kommen nie durch.«
Ich betrachtete die bedrohliche, schwarze Silhouette des Turms und stellte mir vor, was Malachi gesehen haben mochte, als er in dem Gebäude war. Für mich war der Holocaust Geschichte. Für ihn war er
Erinnerung
.
Ich schlang meine Arme um ihn und drückte mein Gesicht an seinen Hals, wünschte, ich könnte seine Erinnerungen wegscheuchen und ihm Geborgenheit geben. Sein Puls pochte gegen meine Wange, sein Atem ging keuchend.
Für einen Moment erstarrte er, aber dann legte er seine Hand auf meinen Hinterkopf. Er hielt mich fest, tröstete mich, tröstete vielleicht auch sich selbst.
»Ich hab mir Sorgen gemacht«, sagte er. »Ich bin hinter dir her. Hab versucht, nach dir zu rufen und dir mehr darüber zu sagen, aber du warst schon weg. Es tut mir so leid, dass ich es dir nicht rechtzeitig erklärt habe. Als du zur Tür gestürzt bist, hätte ich dich festhalten müssen.« Seine Stimme zitterte. »Du hast lange gebraucht.«
»Ich hätte fast aufgegeben. Und ich sah …« Ich wollte nicht beschreiben, was ich gesehen hatte.
Er streichelte meine Haare, dann nahm er die Hände weg, als hätte er sich bei etwas ertappt. »Ich weiß, was du gesehen hast. Manche ertragen es nicht, den schlimmsten Teil ihres Lebens nocheinmal durchzumachen. Sie legen sich hin und geben auf. Das Gebäude, es …«
»Frisst sie?«
»Nun, ja.« Er schaute zu mir runter. »Ich glaube nicht, dass es
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