Inquisitor: Drei Romane in Einem Band. Mit Bonusmaterial: "Die Innere Bestie" [u.a.]. Ian Watson. Mit Einer Einf. Des Autors. [Dt. Übers. Von Walter Brumm Und Christian Jentzsch].
Lyman'schen Organ. Andere Opfer würden es nicht
haben, aber trotzdem ...
»Man sagt mir«, fuhr Jaq fort,
»dass der Oriens-Tempel einmal den Hüftknochen eines Marines aus alten Zeiten beherbergte,
der in einem Reliquiar untergebracht war. Ich frage mich, ob dieser Hüftknochen
die Zerstörung des Tempels überlebte und ob der Occidens-Tempel die Reliquie
jetzt verwahrt, wie es auch mit den Fingernägeln des Gott-Imperators geschah.
Finde das heraus, Rakel. Erkundige dich bei deinen Kontakten in der Unterwelt. Wenn
dieser Hüftknochen im Occidens-Tempel verborgen ist, möchte ich, dass du ihn
stiehlst und hierherbringst, damit Lex ihn mit seinem Gravierwerkzeug verzieren
kann.«
»O ja!«, sagte Lex. »Eine gute
Idee!« Seine Finger öffneten und schlossen sich, als umfasste er den verehrten
Knochen bereits.
Warum Lex den Wunsch hatte,
sich damit zu beschäftigen, wurde nicht preisgegeben. Rakel kannte seinen Namen,
aber nicht seine Identität.
»Erkundige dich auch nach
illegalen Kulten«, sagte Jaq. »Gibt es einen Kult, der sich der Metamorphose
widmet — oder revolutionärer Veränderung? Gibt es einen Kult, der sich der Lust
und den Genüssen des Fleisches widmet?«
»Ist das der Grund, warum ich
unsere Speisen nicht loben soll, ganz gleich, wie gut sie sind?«, fragte Rakel.
»Durchaus nicht! Wir essen gut,
weil Entbehrung die Perspektiven verengt.« Grimm nahm seinen Bierkrug von den
Lippen. »An Bord der Tormentum erlaubtest du keinen Alkohol, Jaq.« Neuerdings
war es Grimm erlaubt, die Speisekammer mit Bier und Wein und sogar dem starken
lokalen Schnaps, »Geist des Dschinn« genannt, zu füllen. Jaq selbst trank noch
immer keinen Alkohol. Für Lex mit seinem Zusatzmagen und seinen reinigenden
oolithischen Nieren wäre Alkoholgenuss ohne berauschende Wirkung.
»Alkohol verwirrt die Sinne«,
antwortete Jaq. »Es mag sein, dass ich Verwirrung ausnutzen muss. Du, Rakel, solltest
in deiner neuen Assassinengestalt keine besonderen Vorlieben im Hinblick auf
Speisen ausdrücken. Es schickt sich nicht.« Jaq legte die Assassinenschärpe auf
den Tisch. Aus der Schärpe zog er drei kleine Ringe, die wie barocke Fingerhüte
geformt waren.
»Trag diese an deinen Fingern,
Rakel.«
Verwundert, aber mit
professionellem Blick schätzte Rakel den möglichen Wert dieser mutmaßlichen
Schmuckstücke.
»Du krümmst den Finger
plötzlich so«, sagte Jaq und machte es vor. »Dies sind seltene Digitalwaffen
aus den Werkstätten der Jokaero. Eine verschießt eine giftige Nadel, die Nächste
einen Laserstrahl, und die Dritte ist ein winziger Flammenwerfer. Jede feuert
nur einmal. Wir haben keine Möglichkeit, die Ladungen zu erneuern. Sie sind nur
in dem Fall zu gebrauchen, dass du in die Enge getrieben bist und keine andere
Fluchtmöglichkeit hast.«
Rakel betrachtete die
Digitalwaffen und die drei Männer am Tisch.
»Siehst du, wie wir dir
vertrauen?«, sagte Grimm.
»Mich würdest du damit nicht
außer Gefecht setzen«, knurrte Lex.
»Weder mit Gift noch mit der
Flamme oder dem Laser. Auch blind würde ich dir das Genick brechen.«
»Und dein Körper würde bald
außer Kontrolle geraten und in Auflösung übergehen«, sagte Jaq.
Rakel nickte und steckte die
drei Digitalwaffen auf verschiedene Finger.
»Du bist vollkommen«, sagte Jaq
düster.
Grimm tauchte einen Finger in
die Soße und saugte daran. »Oh, die Soße wird kalt!« Rakel war keine frei
handelnde Persönlichkeit mehr.
Sie war nicht einmal mehr
körperlich sie selbst. Aber was bedeutete Freiheit? Welcher Wert lag in der — stets
gefährdeten — Freiheit, gestohlene Schmuckstücke und Drogen von einem Hehler
zum anderen zu tragen, zu einem kleinen Bruchteil ihres Wertes zu verkaufen und
davon noch Bestechungsgelder zu bezahlen?
Welche Bedeutung konnte dem
Einzelnen in einem Kosmos von ungezählten Milliarden Menschen überhaupt
zukommen? Wenn etwas ihr Selbst kennzeichnete, war es das Diebestum, das
Entwenden materieller Aspekte anderer Leute, um ihren Lebensunterhalt zu
sichern und ihr Dasein zu verschönern.
In dieser Villa hatte sie
unbeabsichtigt eine ganz neue falsche Identität angenommen, die ihrem Körper
aufgenötigt worden war.
War dies nicht eine abartige
Form von Triumph? Jetzt hatte sie eine Mission und einen amtlichen Auftrag zu
stehlen, erteilt von einem geheimen Inquisitor. War dies nicht eine perverse
Art von Anerkennung? Rakel erwies sich als eine nützliche Mittlerin. Ihre Hauptkontakte
waren die Gebrüder Shuturban, zwei
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