Inquisitor: Drei Romane in Einem Band. Mit Bonusmaterial: "Die Innere Bestie" [u.a.]. Ian Watson. Mit Einer Einf. Des Autors. [Dt. Übers. Von Walter Brumm Und Christian Jentzsch].
missbilligte finster Grimms
Mangel an Ehrfurcht.
»Es wird die linke Kapelle
sein, in der sie die Reliquie versteckten. Links ist die Seite der Formeln, des
Okkultismus, der Arglist und der Geheimnisse.« Lex stimmte dem zu. In die
Fingerknochen seiner linken Hand hatte er die Namen der toten Kameraden Biff und
Yeremi eingraviert.
»Die Priester würden den
gebräuchlichen Symbolismus nicht außer Acht lassen«, erklärte Jaq.
Der günstigste Weg in den
Occidens-Tempel wäre durch eine der Öffnungen in der Kuppel des Atriums, durch
welche die Schwaden des Räucherwerks abzogen. Ganz in Schwarz gekleidet, wollte
sich Rakel an einem dünnen, starken Seil wie eine Spinne am Faden
herunterlassen und katzenartig auf den Boden springen. Bei Nacht, wenn der
Tempel geschlossen war, würden wahrscheinlich keine bewaffneten Diakone im
Atrium der Basilika patrouillieren. Rakel hatte bemerkt, dass das
Tempelpersonal im Gegensatz zu den Besuchern selten aufblickte.
Oben war alles in Rauch und Ruß
gehüllt.
Vom Atrium konnte sie leicht in
die Basilika eindringen, den Altar mit ihren Nachschlüsseln öffnen und das schwere
goldene Reliquiar herausheben.
»Schwer auch durch den
Knochen«, erläuterte Lex.
»Die Knochen von Marinesoldaten
sind groß und verstärkt.« Rakel warf ihm einen neugierigen Blick zu, fragte aber
nicht.
Als Nächstes musste ein
Leichensack geöffnet werden.
»Ihr wollt den Leichnam im
Altar verbergen?«, fragte Grimm.
»Nein«, erwiderte Jaq mit
Nachdruck. »Das wäre ein Sakrileg.«
Rakel sollte das Reliquiar zu
dem Toten in den Leichensack stecken, ihn wieder zubinden und ins Atrium zurückkehren,
wo ein Komplize das Seil hinunterlassen und Rakel hochziehen würde.
»Soll ich auf dem Dach sein?«,
fragte Grimm.
Rakel lächelte vage. »Es wird
andere Wege in den Tempel geben. Durch die Kanalisation, zum Beispiel. Ich bin
sicher, dass Chor Shuturban mir genaue Angaben über die betreffenden
Abzugskanäle machen wird, wenn wir ihm genug Gold versprechen. Aber vielleicht
ziehen wir es vor, ihn zu verblüffen?«
Sie war nicht Meh'lindi. Denn Meh'lindi
hätte einen Weg durch die Kanalisation gefunden, sich wenn nötig verrenkt und
Gliedmaßen ausgekugelt. Aber Rakels Verstand war analytisch.
Am Morgen nach der Beraubung
des Altars würde sie in Begleitung eines stämmigen Sklaven im Tempel erscheinen
und einen aus dem Leichensack ragenden Kopf identifizieren. Sie würde in Tränen
ausbrechen, und der Sklave würde ihr helfen, die Last des Toten fortzutragen.
Und sollte sich das Reliquiar
selbst in seinem eingedrückten Zustand als zu groß erweisen, so würde sie am Vorabend
den Kopf des Toten abschneiden, den kopflosen Leichnam verbergen und den Kopf
dann an einem Ende des Reliquiars befestigen. Das Reliquiar würde in diesem
Fall den Körper ersetzen.
»Und wo willst du den Leichnam
verstecken?«, fragte Jaq.
»Ich hatte mir überlegt, vom
Altar Gebrauch zu machen«, sagte Rakel bescheiden.
»Sakrileg. Blasphemie.«
»So ist es«, bekräftigte Lex.
»Ich nehme an«, meinte Grimm
missvergnügt, »dies bedeutet, dass ich den verwesten Leichnam am Seil
hinaufziehen muss, nachdem du in den Tempel eingedrungen bist?«
»Eine Diebin gebraucht jedes
Mittel«, sagte Rakel.
Jaq räusperte sich streng. »Du
versuchst uns zu manipulieren, als Entschädigung dafür, was mit dir geschehen
ist.«
Rakel zuckte die Achseln. »Ich
diene dir«, sagte sie, »in der Weise, wie ich es am besten kann.« Jaqs Augen
weiteten sich bei diesem Echo seiner toten Assassinen-Kurtisane.
»Es ist ein einleuchtender
Plan«, gab er zu.
»Solange du dich nicht in dem
Leichensack verbirgst, um aus dem Tempel zu verschwinden!«, sagte Grimm.
»Selbst mit Patina und
kosmetischem Schleim im Gesicht könnten die Priester glauben, du seiest
wunderbarerweise von Verwesung verschont geblieben. Ach, das bringt mich auf
einen Gedanken. Meinst du nicht, dass ein Leichnam, der in Verwesung
übergegangen ist, beim Hinaufziehen in Stücke zerfallen könnte?«
»Ich werde ein Netz mitnehmen«,
erläuterte Rakel.
»Ein feinmaschiges Netz. In
Shandabar gibt es viele geeignete Fischernetze zu kaufen.«
»Ein Fischernetz mit einer
Leiche darin«, murmelte Grimm. »Ein feiner Fang.«
»Ich fühle, wie sich Fäulnis
und Verderbtheit um mich sammeln«, murmelte Jaq düster. Leise fügte er hinzu: »Wie
es wohl sein muss.«
»Ich sollte mich nach Kulten
erkundigen«, fuhr Rakel gewissenhaft fort. »Im Mahabbatviertel von Shandabar
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