INRI
an.
»Johannes - bist du dir sicher?«
Der Täufer wandte sich zum Fluß und marschierte los.
»Komm! Sie warten schon.«
»Ich komme mit meinem Leben nicht zurecht, Monica.« »Geht uns das nicht allen so, Karl?«
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10
Und dein des Menschen Antlitz, dein
Des Menschen Glieder und sein Atem,
Einziehend durch die Pforte der Geburt und
Ausziehend durch die Pforte des Todes.
William Blake: Jerusalem: An die Juden
Johannes stand bis an die Hüften in dem träge fließenden Wasser des Flusses. Die Essener waren alle gekommen, um die Taufe mitzuerleben. Sie standen stumm an den Ufern.
Glogauer stand unsicher an dem sandigen Uferhang, sah auf Johannes hinunter und sprach in seinem sonderbaren, stark akzentuierten Aramäisch zu ihm.
»Johannes, ich kann es nicht. Es kommt mir nicht zu, das zu tun.«
Der Täufer furchte die Stirn. »Du mußt es.«
Glogauer atmete schwer, und seine Augen füllten sich mit Tränen, während er Johannes verzweifelt bittend ansah.
Aber der Täufer hatte kein Erbarmen.
»Du mußt. Es ist deine Pflicht.«
Glogauer fühlte sich schwindelig, als er zum Täufer in den Fluß stieg. Ihn fror.
Er stand zitternd im Wasser, unfähig, sich zu bewegen.
Er rutschte auf den Steinen im Flußbett aus. Johannes packte ihn am Arm und bewahrte ihn davor, umzufallen.
An dem klaren, harten Himmel stand die Sonne im Zenit und brannte auf seinen unbedeckten Schädel herab.
»Immanuel!« rief Johannes plötzlich: »Der Geist Adonais ist in dich gefahren!«
Glogauer war erschrocken. »Was…?« sagte er auf englisch. Er blinzelte.
»Der Geist Adonais ist in dir, Immanuel!«
Glogauer hatte immer noch Mühe zu sprechen. Er schüttelte schwach den Kopf. Das Kopfweh war noch nicht vorbei, und jetzt wurden die Schmerzen noch stärker. Er konnte kaum sehen. Er wußte, daß er den ersten Migräneanfall seit seiner Ankunft hier erlebte.
Er spürte Brechreiz.
Die Stimme des Täufers klang verzerrt und weit entfernt.
Glogauer taumelte im Wasser.
Als er Johannes entgegenfiel, verschwamm alles um ihn herum.
Er spürte, wie Johannes ihn auffing, und hörte sich selbst verzweifelt sagen: »Johannes - du mußt mich taufen!« Und dann hatte er Wasser im Mund und im Rachen und begann zu husten.
Er hatte eine solche Angst nicht mehr erlebt seit der Nacht, in der er zum erstenmal mit Monica ins Bett gegangen war und geglaubt hatte, er sei impotent.
Johannes schrie irgend etwas.
Was immer es gewesen sein mochte, es rief bei den Menschen an den Ufern eine Reaktion hervor.
Das Dröhnen in Glogauers Ohren verstärkte sich, wurde der Art nach anders. Er schlug im Wasser um sich und spürte dann, wie er auf die Beine gestellt wurde.
Immer noch war er von Panik und Schmerzen beherrscht. Er erbrach sich ins Wasser und stolperte, als Johannes ihn schmerzhaft fest am Arm packte und zum Ufer führte.
Er hatte Johannes im Stich gelassen.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir leid. Es tut mir leid. Es tut mir leid…«
Er hatte Johannes um seine letzte Chance zum Sieg gebracht. »Es tut mir leid. Es tut mir leid.«
Wieder einmal hatte er nicht die Kraft gehabt, das Richtige zu tun. »Es tut mir leid.«
Ein sonderbares rhythmisches Summen kam von den Essenern, während sie schwankten; es schwoll an, wenn sie sich nach der einen Seite neigten, und wurde schwächer, wenn sie sich zur anderen Seite neigten.
Als Johannes ihn losließ, hielt Glogauer sich die Ohren zu. Er würgte immer noch, aber jetzt nur noch trocken, doch schlimmer als je.
Er rannte davon, rannte, nur mühsam das Gleichgewicht bewahrend und sich immer noch die Ohren zuhaltend; rannte über das steinige, mit Gestrüpp bewachsene Land; rannte, während die Sonne am Himmel pulsierte und ihre Hitze auf seinen Schädel hämmerte; rannte davon.
Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf wohl, daß ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Laß es jetzt also sein! Also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's zu. Und da Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser; und siehe, da tat sich der Himmel auf über ihm. Und er sah den Geist Gottes gleich als eine Taube herabfahren und über ihn kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.
Matthäus 3, 14-17
Er war fünfzehn und machte sich ganz gut auf der Oberschule.
Er hatte in den Zeitungen von den Teddy-Boy-Banden gelesen, die
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