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INRI

INRI

Titel: INRI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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den Süden Londons unsicher machten, aber die paar Jugendlichen in pseudo-edwardianischer Kleidung, die er gelegentlich getroffen hatte, waren ihm recht harmlos und blöd vorgekommen.
    Er war in Brixton Hill im Kino gewesen und hatte beschlossen, zu Fuß nach Streatham zurückzugehen, weil er das Busgeld zum größten Teil für Eis ausgegeben hatte.
    Sie kamen zur gleichen Zeit aus dem Kino. Er bemerkte sie kaum, als sie ihm folgten.
    Dann war er plötzlich von ihnen umringt.
    Sie waren blasse, ärmlich aussehende Bürschchen, die meisten um ein bis zwei Jahre älter als er. Zwei von ihnen kannte er vom Sehen. Sie besuchten eine große öffentliche Schule in derselben Straße, in der auch seine Schule lag. Sie benutzten denselben Fußballplatz.
    »Hallo«, sagte er schwach.
    »Hallo, mein Sohn«, sagte der älteste der Teddy-Boys. Er kaute Gummi und stand da, das eine Knie eingeknickt, und grinste ihn an.
    »Wohin willst du denn?«
    »Nach Hause.«
    »Nach Hause«, wiederholte der größte gedehnt, Karls Aussprache nachahmend.
    »Was willst du denn anfangen, wenn du dort ankommst?«
    »Zu Bett gehen.«
    Karl versuchte aus dem Ring auszubrechen, aber sie ließen ihn nicht. Sie drängten ihn in einen Ladeneingang. Hinter ihnen auf der Hauptstraße brausten Autos vorbei. Die Straße war hell erleuchtet von Straßenlampen und den Neonschriften der Geschäfte.
    Mehrere Leute kamen vorbei, aber niemand blieb stehen. Karl wurde von Angst gepackt.
    »Mußt du keine Schularbeiten mehr machen, mein Sohn?« sagte der Junge, der neben dem Anführer stand. Er hatte rote Haare und Sommersprossen und harte graue Augen.
    »Willst du dich mit einem von uns schlagen?« fragte ein anderer. Es war einer der beiden, die Karl erkannt hatte.
    »Nein. Ich schlage mich nicht. Laßt mich gehen!«
    »Hast du Angst, mein Sohn?« fragte der Anführer grinsend. Betont lässig zog er seinen Kaugummi weit aus und steckte ihn dann in den Mund zurück. Er kaute weiter, immer noch grinsend.
    »Nein. Warum sollte ich mich mit euch schlagen? Ich meine, man sollte sich nie schlagen.«
    »Dir bleibt kaum eine andere Wahl, mein Sohn, nicht wahr?«
    »Hört doch, ich bin spät dran. Ich muß nach Hause.«
    »Für ein paar Runden wird deine Zeit noch reichen…«
    »Ich habe euch schon gesagt, ich will mich nicht mit euch schlagen.«
    »Du hältst dich für etwas Besseres als wir, das ist es doch, nicht wahr, mein Sohn?«
    »Nein.« Er begann zu zittern. Tränen traten ihm in die Augen. »Natürlich nicht.«
    »Natürlich nicht, mein Sohn.«
    Karl trat wieder vor, aber sie stießen ihn in den Eingang zurück.
    »Du bist doch der Bursche mit dem Krautkopfnamen, nicht?« sagte der andere der beiden, die er kannte. »Gluckeier oder so ähnlich.«
    »Glogauer. Laßt mich gehen!«
    »Schimpft deine Mami, wenn du zu spät kommst?«
    »Eher ein jüdischer Name als ein deutscher.«
    »Bist du ein Jid, mein Sohn?«
    »Er sieht wie einer aus.«
    »Bist du ein Jid, mein Sohn?«
    »Bist du ein Jude, mein Sohn?«
    »Bist du ein Jid, mein Sohn?«
    »Haltets Maul!« schrie Karl. »Warum habt ihr es auf mich abgesehen?«
    Er rannte gegen sie an. Einer boxte ihn in den Magen. Er stöhnte vor Schmerz. Ein anderer stieß ihn, und er taumelte.
    Immer noch hasteten Leute auf dem Gehsteig vorbei. Manche warfen im Vorbeigehen einen Blick auf die Gruppe.
    Ein Mann blieb stehen, aber seine Frau zerrte ihn weiter. »Nur Jungs, die sich balgen«, sagte sie.
    »Zieht ihm die Hosen runter!« schlug einer der Jungen lachend vor. »Dann kriegen wir den Beweis.«
    Karl schob sich zwischen ihnen durch, und diesmal leisteten sie keinen Widerstand.
    Er lief die Straße hinunter.
    »Gebt ihm einen kleinen Vorsprung!« hörte er einen der Jungen sagen.
    Er rannte weiter.
    Dann nahmen sie lachend und höhnend die Verfolgung auf.
    Sie holten ihn nicht ein, bevor er die Allee erreichte, in der er wohnte. Vielleicht hatten sie gar nicht beabsichtigt, ihn zu fangen. Er errötete.
    Er erreichte das Haus und lief den dunklen Fußweg entlang zur Hintertür. Seine Mutter war in der Küche.
    »Was ist mit dir los?« fragte sie.
    Sie war eine große, hagere Frau, nervös und hysterisch. Ihr dunkles Haar war ungepflegt.
    Er ging an ihr vorbei ins Frühstückszimmer.
    »Was ist los, Karl?« rief sie. Ihre Stimme war schrill.
    »Nichts«, sagte er.
    Er wollte keine Szene.
    11
    Es war kalt, als er erwachte. Im Osten war der Himmel hellgrau, und er sah nichts als Ödland ringsherum. Er wußte nicht mehr viel

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