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INRI

INRI

Titel: INRI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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über den letzten Tag, außer daß er Johannes irgendwie im Stich gelassen hatte und dann eine weite Strecke gerannt war.
    Er fühlte sich benommen. Sein Schädel war leer. Sein Nacken schmerzte noch.
    Tau hatte sich auf sein Lendentuch gelegt. Er nahm es ab und benetzte seine Lippen und wischte sich mit dem Stoff über das Gesicht.
    Wie stets nach einem Migräneanfall, fühlte er sich schwach und seelisch und körperlich völlig verausgabt.
    Als er an seinem nackten Körper herabsah, bemerkte er, wie mager er geworden war;
    »Ich sehe aus wie ein Belsen-Opfer«, dachte er.
    Er fragte sich, warum er so in Panik geraten war, als Johannes ihn bat, ihn zu taufen. War es einfach Ehrlichkeit - etwas in ihm, das sich in letzter Minute dagegen sträubte, die Essener zu täuschen? Es war schwer zu sagen.
    Er wand sich das zerrissene Lendentuch um die Hüften und knotete es über seinem linken Oberschenkel. Er hielt es für angebracht, den Weg zurück zur Siedlung zu suchen und sich bei Johannes zu entschuldigen, ihn zu fragen, ob er es wiedergutmachen könnte.
    Danach würde er vielleicht weiterziehen.
    Die Zeitmaschine war immer noch in dem Essenerdorf. Wenn sich ein guter Schmied fände oder ein anderer Handwerker, gäbe es vielleicht noch die Möglichkeit, sie zu reparieren. Es war eine schwache Hoffnung. Selbst wenn man sie zurechtflicken könnte, wäre die Rückreise gefährlich.
    Er überlegte, ob er sofort zurückreisen oder versuchen sollte, etwas näher an die tatsächliche Kreuzigung heranzukommen. Es war wichtig, daß er die Stimmung in Jerusalem während des Passahfestes selbst miterlebte, bei dem Jesus in die Stadt eingezogen sein sollte.
    Monica war der Meinung, Jesus habe die Stadt mit einer bewaffneten Schar erstürmt. Sie sagte, alle Hinweise deuteten darauf hin.
    Alle Hinweise von einer bestimmten Art deuteten wohl darauf hin, nahm er an, aber er konnte sie nicht anerkennen. Es steckte bestimmt mehr dahinter, dessen war er sicher.
    Wenn er nur Jesus begegnen könnte.
    Johannes hatte offenbar nie von ihm gehört, obgleich er erwähnt hatte, daß der Messias einer Prophezeiung nach Nazarener sein würde.
    Aber es gab viele Prophezeiungen, und viele widersprachen sich.
    Er machte sich auf den Rückweg in der Richtung, in der er das Essenerdorf vermutete. Er konnte sich nicht sehr weit davon entfernt haben.
    Bis zum Mittag war die Luft viel heißer und das Land immer öder geworden. Die Luft flimmerte, und er kniff zum Schutz gegen das grelle Licht die Augen zusammen. Das Gefühl der Erschöpfung, mit dem er aufgewacht war, hatte sich verstärkt; seine Haut brannte, sein Mund war ausgetrocknet, und seine Beine wollten ihn kaum tragen. Er war hungrig und durstig, und er hatte nichts zu essen und nichts zu trinken. Von der Hügelkette, an der das Dorf der Essener lag, war nichts zu sehen.
    Er hatte sich verirrt, und es war ihm fast egal. In seinem Geist war er schon fast eins mit der Wüste. Wenn er hier umkäme, würde er den Übergang zwischen Leben und Tod kaum spüren. Er würde sich hinlegen, und sein Körper würde in dem braunen Boden aufgehen.
    Mechanisch schleppte er sich weiter durch die Wüste.
    Später sah er etwa drei Kilometer südlich einen Hügel. Der Anblick belebte sein Bewußtsein ein wenig. Er beschloß, auf den Hügel zuzugehen. Von dort oben würde er wahrscheinlich seine Orientierung wiederfinden, vielleicht sogar eine Siedlung sehen, wo er etwas zu essen und Wasser bekommen würde.
    Er rieb sich über Stirn und Augen, aber die Berührung mit seiner eigenen Hand verursachte ihm Schmerzen. Er schleppte sich auf den Hügel zu.
    Der sandige Boden verwandelte sich in Treibsand, wenn seine Füße ihn aufrührten. Das karge Gestrüpp, das da und dort wuchs, riß ihm die Knöchel und die Waden auf, und er stolperte über Felsbrocken.
    Zerschunden und blutend erreichte er den Fuß des Hügels.
    Er ruhte sich eine Weile aus, starrte gedankenverloren über die einförmige Landschaft hin. Dann begann er den Hang hinaufzusteigen.
    Der Aufstieg zum Gipfel (bis zu dem es viel weiter war, als er zuerst geschätzt hatte) war schwierig. Er rutschte in dem losen Geröll am Steilhang aus, fiel aufs Gesicht, stemmte sich mit seinen aufgerissenen Händen und mit den Füßen dagegen, um nicht wieder zurückzurutschen, hielt sich an Grasbüscheln und Flechten fest, die dort wuchsen, umklammerte größere Felsvorsprünge, wenn er konnte, ruhte oft aus, und sein Geist und sein Körper waren betäubt von Schmerzen

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