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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
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weißen Frauen beugen mussten. Henrietta beobachtete, wie Susi sich ihnen näherte, bittend, fast kriecherisch, nicht gebieterisch, und sie wusste, dass sie keinen Unterwürfigkeitsreflex der weißen Madam gegenüber hervorrufen würde. »Susi«, wisperte sie eindringlich, »du bist in Gefahr.« »Was?« Susi drehte sich zu ihr um, ihre Unterlippe hing lose herunter.
    »Wisch deine Hände am Rock ab und halt den Mund.« Susi gehorchte. Sie hob ihren blutbefleckten Rock, er fiel vorne auf, zeigte ihre langen, von Kratzwunden blutenden Beine bis hinauf zu ihrem weißen Spitzenhöschen.
    Vier paar dunkle Augen, unheimlich hinter den geschlitzten Masken, liefen über ihren Körper, blieben an diesem Höschen hängen. »Runter mit dem Rock, du dämliche Kuh!« Henrietta hätte sie am liebsten geohrfeigt.
    Mary bemerkte die Blicke der Männer. Sie lachte auf. »Emveni«, sagte sie, und als Henrietta einfiel, dass das »später« hieß, zog sich ihre Kopfhaut mit einem kalten Prickeln zusammen. Ein Kichern zwitscherte in der stillen Luft und wie ein kleines Tier aus seinem Bau schlüpfte der kleine Junge, der, der den Fahrradunfall vorgetäuscht hatte, aus dem Eingangsloch der größten Hütte und tanzte wie ein Irrwisch um sie herum. Nacheinander erschienen zwei Männer.
    Der Altere, ein würdevoller alter Zulu mit eisgrauem Fusselbart, trug ein grau gewaschenes, ehemals weißes Hemd und eine aufgekrempelte braune Hose. Er stand da, barfuß, auf verhornten, breit getretenen Füßen. Schnitte und Narben kerbten die helle Haut an den Sohlenseiten, zeugten von dem langen, beschwerlichen Weg seines bisherigen Lebens. Graue Schatten lagen um seine geröteten Augen, die um den Stock gekrallte Hand zitterte, unterstrich den Eindruck von Krankheit und völliger Erschöpfung. Der jüngere Mann an seiner Seite glitt zu Boden, saß apathisch zu ihren Füßen, die stockdünnen Beine in den abgeschnittenen Jeans von
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    sich gestreckt. Henrietta schätzte ihn auf Ende zwanzig, obwohl er durch das Mumienhafte seines Körpers uralt wirkte. Als hätte ihn etwas ausgesaugt, bestand er nur noch aus Haut und Knochen. »Das ist mein Vater«, sagte Mary Mkize, »und das ist mein Sohn.« Sie legte dem jungen Mann auf dem Boden die Hand auf den Kopf. »Meinen Enkelsohn und meine Schwiegertochter werde ich dir auch zeigen.« Sie packte Henrietta am Arm und zog sie grob zur Dornenhecke.

    Einer der Männer öffnete sie, und Mary stieß sie zu einer Lichtung, die in den Busch geschlagen war. »Da liegen sie.« Sie zeigte auf mehrere längliche Erdhaufen, in denen senkrecht verwitterte Holzbretter steckten. Die weiße Schrift daraufwar teilweise abgeblättert. Mary starrte Henrietta aus schmalen Augenschlitzen an. Und stutzte. »Ich kenne dich, weiße Frau ...« Henriettas wusste, dass sie dem sengenden Blick der Schwarzen nicht lange standhalten konnte. Sie nickte. »Du hast einmal für mich gearbeitet, vor langer Zeit, in Mount Edgecombe in der Strickfabrik.«
    »Oho«, Marys Ton senkte sich, wurde drohend, »oho! Die Frau, die mich mit meinen Kindern fortgejagt hat.« Der Sjambok klatschte gegen die Sohle ihres Halbschuhs. »Mit meinem neugeborenen Baby hast du mich fortgejagt. Es hatte noch mein Blut auf seinem Körper, und du hast mich fortgejagt.«
    »Mary...«, sie streckte bittend eine Hand aus, »du weißt, warum, du weißt, dass die Polizei das Gebäude beobachtete, sie haben dich gesucht, du weißt das! Sie hätten dich ins Gefängnis gesteckt, wenn sie dich erwischt hätten. Du hättest deine Kinder nie wieder gesehen.«
    »Du hast mich davongejagt«, wiederholte Mary, ihre Worte ignorierend, in ihren Augen unter den gesenkten Brauen loderte Hass, »mit meinem neugeborenen Sohn.
    Ich habe mich in der Nacht unter einer Brücke versteckt. Am nächsten Morgen war mein Baby kalt und steif. Ich hatte geschlafen und nicht gemerkt, wie mein kleiner Junge aus meinem Arm in eine Pfütze gerollt und dort ertrunken ist.
    Eine Katze hätte in der Pfütze stehen können, aber er ertrank.« Ihre 281
    Stimme war ein gleichförmiger Singsang. »Mein kleiner Junge starb, weil ich, seine Mutter, vor Erschöpfung im Matsch unter der Brücke eingeschlafen war.
    Ist eins von deinen Babys gestorben? Leben deine hübschen Zwillinge noch?«
    Mary stieß sie mit dem Sjambok wieder zurück ins Umuzi. »Mir blieb nur mein ältester Sohn«, sagte sie, als sie das Türsegment zuschob, »jetzt stirbt er, und wenn er tot ist, wirst auch du sterben, du und die beiden

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