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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
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anderen Frauen.«
    Ihr Ton verhieß Endgültigkeit, wie das Fallbeil eines Henkers. Henrietta wusste, dass sie nur ein Wunder retten konnte. Stumm starrte sie die Schwarze an. Was hätte ich machen sollen? fragte sie Mary schweigend, es war deine und meine einzige Chance, denen zu entkommen. Auch ich hatte Kinder, an die ich denken musste. Etwas hatte Mary grundlegend verändert. Ihre Sprache war nicht mehr die bildhafte, verschnörkelte der traditionell aufgewachsenen Schwarzen.
    Knapper, deutlicher, nicht umschreibend. Kasernenhof-ton, soufflierte Mama aus der Vergangenheit. Es war ihre Bezeichnung für einen rüden Umgangston. Solche Leute kamen ihr nicht ins Haus. Kasernenhofton! Natürlich. Henrietta hatte Gerüchte von Ausbildungslagern des ANC, Mandelas Partei, in der Sowjetunion gehört und von russischen Militärexperten, die Zulus in Mosambik trainierten.
    War Mary eine von ihnen?
    »Stoj!« rief sie laut, das einzige russische Wort, das sie kannte. Mary fuhr herum, starrte sie ungläubig an. In diesem Moment überfiel Henrietta nackte Angst, physische, herzjagende, die Kehle zuschnürende Angst. »Was fehlt deinem Sohn?«, fragte sie heiser. Mary schrie den Vermummten einen Satz in Zulu entgegen, und kurz daraufkam einer von ihnen mit einer Flasche zurück, hielt sie ihr vors Gesicht. Es war der Mann mit den drei Fingern an der Hand, und nun erinnerte sie sich. »Moses?«, flüsterte sie. Moses? Der Mann, der einst Samantha als Baby während eines Einbruchs aus dem Fenster geworfen hatte, dem Neu darauf in seiner Angst um seine Tochter mit einem Stein die Finger zerquetscht hatte? Moses, der auf mysteriöse Weise aus dem Gefängnis ausgebrochen war, nachdem ihm Neu den besten Anwalt gesucht hatte, den er finden konnte, ihm so
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    das Leben gerettet, aber Tita und Samantha damit in höchste Gefahr gebracht hatte?
    Der Mann stand ganz still, hielt ihr noch immer die Flasche entgegen. Dann zog er mit der anderen Hand langsam die schwarze Mütze vom Gesicht. »Yebo«, sagte er nur, »ja.« Sie sah die Narben von Neils Stein, und sie sah, dass in seinem Blick nichts lag als abgrundtiefer Hass.
    Moses und Mary! Wie kamen die beiden zusammen? Die Flasche, die ihr Moses entgegenhielt, war eine der Saftflaschen aus Titas Transport. Wo aber waren dann Jeremy und der Geländewagen? Ihre Gedanken liefen Amok. »Was ist mit der Flasche?«, krächzte sie.
    »Sie ist vergiftet.« Marys Worte waren ein gefährliches Fauchen. Ein fernes Donnergrollen kündigte das Unwetter an, ein Blitz erhellte den schwarzen Horizont. Vergiftet? »Vergiftet? - Mary, nichts, was Mrs. Robertson schickt, kann vergiftet sein. Unmöglich, nicht, was von Mrs. Robertson kommt!«
    »Siehst du Kinder in diesem Umuzi oder Abafana, Halbwüchsige? Nun, siehst du sie, weiße Frau? Du kannst sie nicht sehen, sie sind alle tot. Einmal war dieses hier eine große, blühende Familie mit gesunden Kindern, kräftigen jungen Männern und fruchtbaren Frauen. Sie sind alle tot. Weißt du, wie sie starben?«
    Ihre Stimme traf sie wie ein Eiseshauch, der Henrietta trotz der Hitze frösteln ließ. Nein, wollte sie rufen, bitte nicht, Mary, ich habe damit nichts zu tun. Aber sie schwieg, wappnete sich, akzeptierte eine Schuld, die andere auf sich geladen und mit denen sie nur die Hautfarbe gemein hatte.
    »Erst husteten sie, und in ihrem Gedärm brannte ein Feuer, und ihr Inneres entleerte sich mit grässlichen Geräuschen, Blut lief aus ihnen heraus, danach ergriffen Teufel von ihnen Besitz.« Offensichtlich bis ms Innerste aufgewühlt, war Mary wieder in die blumige Sprache ihres Volkes verfallen. »Die Teufel schüttelten sie, fraßen sie von innen auf, bis sie ganz klein wurden und fast nichts mehr von ihnen da war. Sie hörten einfach auf zu atmen. Manche wurden verrückt vor Durst,
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    und am Ende starben sie, aufgebläht wie ein Ballon.« Sie holte aus, und die Flasche zersprang in glitzernden Scherben vor Henriettas Füßen, eine klebrige Flüssigkeit, vermischt mit feinsten Glassplittern, durchnässte ihre Jeans, lief in die Lederstiefel. Erschrocken sprang sie zurück. Mary lachte. Es war ein schrecklicher Laut. »Unmöglich? Warum bist du dann weggesprungen? Alle, bis auf meinen Vater, haben von dem Saft getrunken. Umbani«, sie zeigte auf den kleinen Jungen, »gehört nicht zu unserer Familie. Er ist bei uns, weil er seine Mutter verloren hat und seinen Vater nicht kennt.«
    Im Busch ist es nie vollkommen still. Es raschelt und wispert, Tauben

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