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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
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das ihrer Kinder und Eltern, auch für lan und dich. Sie konnten auf dein Leben keine Rücksicht nehmen.« Der winzige Vorwurf in seinen Worten ließ sie zusammenzucken.
    Natürlich nicht! Sie lehnte sich zurück, schaute weg, entzog sich dem Gespräch. Das musste sie erst für sich verkraften. Das grüne Land zu ihren Füßen fiel in Wellen zum Wasser ab, ein Schwärm Kanarienvögel schwirrte durch die flachen Kronen der Bäume wie vom Wind umhergewirbelte Goldpapierfetzen.
    Die Sonne stand im Nordwesten, lag auf den runden Hügeln Zululands, diesem fruchtbaren, blühenden Land, das Meer gleißte silbern, aber Gewitterwolken, die sich über der Nordküste auftürmten, warfen einen schwarzen Schatten, der schwer über dem Land lag.
    Das Land unter dem Schatten erschien anders. Bedrohlich, düster. Es erstreckte sich weit hinter dem grau verwischten Horizont ins schwärzeste Mittelalter, wurde von Dämonen bewohnt, und die Schatten der Verstorbenen regierten die Geschicke der Lebenden. Menschen dort besaßen übersinnliche Kräfte, sprachen mit Hexen und Geistern, lasen ihr Schicksal aus geworfenen Tierknochen und brachten ihren Ahnen Tieropfer dar.
    Sie sah Vilikazi vor ihrem geistigen Auge, ihren Freund, angetan mit Fellen und Lendenschurz, hinter dem flackernden Feuer die dunkle Gestalt des Sangomas, eine lebende Schlange um den Hals, schweißüberströmt mit starren Augen, hörte das leise Klicken, als er die Knochen warf. Ließ auch er Kinder schlachten und ihre Organe auf Geheiß der Geister als Medizin verwenden? Mr.
    Naidoo, der tot aus dem Hafenbecken gefischt worden war, zog an ihrem inneren Auge vorbei, und Jeremy, verkohlt, der Autoreifen um seinen Hals noch schwelend. Hatte auch Vilikazi Verrätern das Halsband umgelegt, wie Mary es mit Jeremy getan hatte? Was passierte mit denen, die vor vielen Jahren in dieser schlimmen Nacht in Kwa Mashu versucht hatten, ihm die Kehle durchzuschneiden? Auge um Auge, Zahn um Zahn in seiner reinsten, archaischen Form, im Guten wie im Bösen?
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    Derselbe Vilikazi, der sich in seinem anderen Leben, das Äonen entfernt war, aber doch gleichzeitig stattfand, sicher durch eine moderne, computergesteuerte Welt bewegte, bald vielleicht Mitglied der neuen Regierung sein würde, der jedoch, wohin er auch ging, in seinem Herzen immer das dunkle Afrika trug. Vilikazi, ihr Freund, dem sie lans Leben verdankte, dem sie auch ihr eigenes und das ihrer Kinder anvertraut hatte, der Mann ihrer schwarzen Schwester. Sarah! Mary. Das Chamäleon. Kannte sie ihre schwarze Schwester wirklich?
    Ein großer Schatten huschte über sie hinweg. Sie zuckte zusammen. Für eine beunruhigende Sekunde glaubte sie an einen Schattenvogel, erkannte nicht, dass dort nur ein Kranich kreiste. »Das dunkle Herz Afrikas«, wisperte sie und wünschte sich plötzlich weg von hier, in das andere Land, weit im Norden, in dem alles sanfter ist, wenn auch ein wenig kühler, die Farben verwaschener, aber der Fluss des Lebens ruhiger. »Es verschlingt dich.«
    War das Angst? Vor Afrika? Fassungslos horchte sie in sich hinein. Ihr schwindelte. Sie stand auf dem schmalen Grat eines einsamen Felsens mitten in einem reißenden Wasser, beide Ufer waren unerreichbar weit.
    Aber lan reichte ihr die Hand. »Wir haben Zeit, wir haben die Wahl, wir sind frei«, sagte er ganz leise und zog sie mit den Worten hinüber auf festen Boden.
    Und die Wolkentürme sanken in sich zusammen, trockneten allmählich weg in der Hitze, der Schatten über dem Land zog sich zurück und verschwand. In der Dattelpalme über ihnen raschelte der Seewind, die Sonne malte flirrende Muster aufs Tischtuch. Am Fuße des Grundstücks, das von einer Reihe ausladender, uralter Natalflam-menbäume begrenzt wurde, etwa hundert Meter unter ihnen, gingen ein paar Zulus, behäbige, ältere Frauen in bunten Blusen und dunklen Röcken. Jede balancierte einen geflochtenen Korb mit gelben Maiskolben auf dem Kopf. Der Singsang ihrer Stimmen machte ihre 519
    laute Unterhaltung zu einer Sinfonie, ihr ungehemmtes Gelächter erzählte von ihrer Lebensfreude. Afrika!
    Es bot ihr Wärme und Geborgenheit, Schutz vor Kälte, lockte mit Freundschaft und Dazugehören. Sie fühlte seinen unwiderstehlichen Sog, diese magische Kraft.
    »Wer sich mit dem Teufel einlässt, wird verbrannt?« Sie erschrak, als Karsten mit dieser Frage in ihre Gedanken einbrach. Vilikazi, der Teufel? »Vilikazi, der Teufel?« Die Pause, die sie einschob, war kurz, und sie hoffte, dass außer lan, der

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