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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
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breitet sich der prächtige bunte Teppich Afrikas aus, und er sieht die Farben nicht.
    Sie wünschte, sie hätte Meter für Meter des Weges mit ihren Sohlen abmessen können, damit ihre Seele Zeit gehabt hätte, mit ihr nach Afrika zu reisen. Sie brauchte das Gefühl für die Entfernung, das Gefühl für den Abstand zwischen dem Hier und dem Dort. Sie wünschte, sie hätten wenigstens das Schiff nehmen können. Im Takt mit dem Herzschlag der Dampfmaschine wäre sie auf dem warmen Holzdeck hin- und hergelaufen, mit dem Horizont vor Augen, bis zur befriedigenden totalen Erschöpfung. Doch nun glitt der große 206
    Metallvogel, nur dreizehn Stunden nachdem sie das winterliche Deutschland verlassen hatten, im Sinkflug auf das hochsommerliche Durban zu.
    »Bist du nervös?« lan legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie war warm und fest, ihr Halt seit sechsundzwanzig Jahren. Sie sah aus dem Fenster des Jets.
    Die Erde, die rote afrikanische Erde raste auf sie zu, in Sekunden würden sie in Durban landen. Nervös? Seit elf Jahren war kein Tag vergangen, an dem sie nicht diesen Moment durchlebt hatte, fast viertausend Mal, und jedes Mal hatte sie es innerlich zerrissen. »Nervös ist nicht der richtige Ausdruck, ich habe solche Angst, dass ich kaum atmen kann, und doch ist mir schwindelig vor Glück. Ich möchte auf die Knie gehen und die rote Erde da draußen küssen.«
    Der Purser legte die Hebel um, die schwere Tür des Jumbos schwang nach außen, und vor ihr lag Afrika.
    Die Dezemberhitze stand wie eine schimmernde Wand. Sie trat aus der kalten, trockenen Kabinenluft hinaus in diese vibrierende, leuchtende Welt, die zärtliche Luft, schwer von Meeresfeuchtigkeit und Blumenduft. Damals, vor dreißig Jahren, war sie diese Treppe im Überschwang des Gefühls hinuntergesprungen, endlich, endlich ihr Paradies gefunden zu haben. Heute waren ihre Schritte vorsichtiger. Die Last der Erinnerungen wog zu schwer.
    »Ich hatte vergessen, wie herrlich die Luft hier riecht, wie grün Natal ist«, lan legte den Kopf in den Nacken, »wie weit man sehen kann. Hast du je wieder so einen Himmel gesehen?« Sie tauchte ein in das Blau, das kein milchiger Schleier verdünnte, immer tiefer, fand kein Ende. Wenn Endlosigkeit eine Farbe hatte, dann musste es dieses brennende Blau sein. Auch anderswo hatte sie weite Himmel gesehen, aber den in Afrika sah sie nicht mit dem Verstand, der ihr sagte, dass das Blau eine Täuschung der Atmosphäre war, sie sah ihn mit dem Herzen. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Nein, nirgendwo.«
    Er räusperte sich. »Du wirst sehen, es wird wunderbar werden. Hab keine Angst!«
    207
    Der Asphalt war an vielen Stellen aufgebrochen, die Teersäume in der Hitze aufgeweicht, der Eingang zur Passkontrolle so eng, dass nur eine Person zur Zeit hindurchgehen konnte. Mit einem Blick er-fasste sie mehrere Polizisten, einer rechts und links von jedem Ausgang, Beine fest und breit auf dem Boden, Maschinenpistolen umgehängt, andere standen im Hintergrund herum. Es waren zehn oder zwölf insgesamt, schätzte sie. Ihre Puls schlug schneller. Susi, verschlafen, zerknautscht, verheult, ging vor ihnen durch die Passkontrolle.
    »Ich warte draußen auf euch«, rief sie ihnen noch zu, ehe ihre fällige Gestalt in dem roten Strickkleid, den Nerz über die Schulter geworfen, durch den engen Durchgang verschwand. Dann standen sie vor dem Passbeamten und legten ihre Pässe auf den Tresen, und ihr ganzes Sein konzentrierte sich auf diesen Moment. Ohne sie anzusehen, gab er ihre Daten in den Computer ein. Sie hielten sich fest an den Händen. Es war still bis auf das Klicken der Tasten. Das war sehr laut. Das Hämmern ihres Herzens aber übertönte alles.
    »Mr. lan Cargill, Mrs. Henrietta Cargill?« Nun sah er sie an. Er hatte ein glattes Gesicht mit eng stehenden, wasserhellen Augen. »Ja«, antwortete lan.
    Ein Heben seiner Stimme machte das Wort zu einer Frage.
    Sie versteinerte innerlich, ihre Handflächen wurden plötzlich feucht, ihr Puls klopfte härter.
    Der Beamte machte eine befehlende Geste mit seinem Daumen. »Raus«, bellte er,
    »Sie warten, bis alle anderen abgefertigt sind.« Er klappte ihre Pässe zu, winkte einem Uniformierten, übergab sie diesem, und der verschwand damit durch eine Tür. Sie sah den Beamten an. Sein Mund öffnete und schloss sich, sie registrierte, dass ein Vorderzahn über den anderen geschoben war und er deswegen lispelte, aber sie verstand die Worte nicht. »Machen Sie Platz da, warten Sie da

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