Ins dunkle Herz Afrikas
drüben.« Sein Blick ging an ihr vorbei zu der Frau hinter ihr.
Diese drängte sie zur Seite. Er nahm den Pass entgegen. »Goie More, Mevrou«, lächelte er. 'Der Polizist, der mit ihren Pässen hinter einer Tür verschwunden 208
war, kam mit leeren Händen wieder heraus. »Setzen Sie sich.« Er deutete auf eine Holzbank. Sie blieb stehen. »Was geht hier vor?«
Der Polizist, ein weißblonder, gut aussehender Hüne mit Stoppelhaaren, war eineinhalb Kopf größer als sie. »Setzen Sie sich!«, wiederholte er und schob sie mit dem Lauf der Maschinenpistole vorwärts, eher abwesend als drohend, vielleicht sogar aus Versehen. Sie aber blickte auf diesen blauschwarzen Pistolenlauf, spürte, wie er sich in ihren Oberschenkel bohrte. Eine unerträglich intime Berührung. Eine Welle aus Empörung und Angst schwemmte jede Vorsicht weg. Sie packte den Lauf, zog ihn ruckartig nach vorn und stieß ihn dann zurück. Er erwischte den Uniformierten seitlich im Bauch. Der stolperte rückwärts, und Bruchteile von Sekunden später starrte sie in fünf entsicherte Maschinenpistolen.
lan schwang herum, seine Faust geballt. Drei der Waffen richteten sich auf ihn, das metallische Ratschen, als fünf Maschinenpistolen fast synchron gespannt wurden, ließ ihn erstarren. Zischend zog er die Luft durch die Zähne.
Sie lachte, hoch und zittrig. Nicht aus Wagemut, sondern aus purer, überschießender Panik. Sie lachte, drehte sich um, ging zur Holzbank und setzte sich, denn ihre Beine drohten zu versagen. »Und, wollt ihr mich nun erschießen?«
Langsam senkten sich die Maschinenpistolen, die Gesichter der Polizisten dabei von brutaler Ausdruckslosigkeit.
»Wo sind unsere Pässe?« Ihre Stimme kletterte auf der Tonleiter, ihre Gedanken rasten wie durchgehende Pferde. »Liebling ...« Er versuchte, sie zurückzuhalten, aber sie wand sich aus seinen Armen.
»Lass mich«, schrie sie, »ich will jetzt wissen, was los ist, jetzt! Ich halte das nicht mehr aus!«
»Wir müssen Pretoria anrufen«, sagte der mit den ölig schwarzen Kräuselhaaren und den goldenen Streifen auf den Ärmeln harsch. »Pretoria?« Ihre Kopfhaut zog sich in einer unbestimmten Ahnung zusammen. »Machen Sie Witze? Was hat Pretoria mit uns zu tun?«
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»Das ist der Sitz unserer Regierung.«
»Das ist sogar mir bekannt. Was hat die Regierung mit uns zu tun?« »Das bin ich nicht befugt zu sagen.« Er öffnete im Gang, der von der Halle abging, die Tür zu einem kleinen Raum, kahl bis auf einen Tisch und zwei Stühle und einer Bank an der Wand. Gitter vor zwei Fenstern direkt unter der Decke zerschnitten den blauen Sommer-himmel in kleine Stücke. Eine Lampe mit Metallschirm baumelte über dem Tisch. Die Wände waren Gelb gestrichen, grünlich, wie das einer unreifen Zitrone, mit einem kakaobraunen Streifen in Augenhöhe. »Setzen Sie sich!«, befahl er und ging, ohne die Tür zu schließen, hinaus. Auf ein Kopfnicken stellte sich einer der Polizisten breitbeinig an die Wand im Gang, das Gewehr geschultert, und schien festzuwachsen.
Sie setzten sich auf die Bank, um sich ganz nah zu sein, schlangen ihre Hände ineinander, spürten sich, warm und vertraut. »Ich liebe deine Hände«, flüsterte er und hob sie zu seinen Lippen. Sie nahm seine, drehte sie, fühlte die warme Glätte seines Eherings. »Jan hat deine Finger ...«Ihre Stimme versagte. »O Gott, die Kinder!« »Ruhig«, flüsterte er, »ruhig, mein Herz. Ganz ruhig - atme tief ein - so ist es gut, anhalten ...« Er küsste ihre Finger.
»... nun atme aus ...«
Allmählich wurde ihr Puls langsamer, ihr Atem regelmäßiger. »Julia«, wisperte sie, »Jan.« Ihre Hand verkrampfte sich in seiner. »Schsch«, machte er.
Die Tür des Raumes stand offen, gab den Blick frei nach draußen, auf den schmalen Ausgang, den Weg in die Freiheit. »Unsere Koffer«, raunte sie, »da draußen.« Die beiden schwarzen Hartschalenkoffer drehten einsame Runden auf dem Gepäckband. Ein Polizist nahm sie herunter und trug sie außer Sichtweite.
Die letzten Passagiere marschierten durch ihr enges Blickfeld und verließen die Ankunftshalle. Sie hatten sich ihrer Wintermäntel entledigt, trugen leichte Sommersachen, einige sogar schon Sonnenbrillen. Ihr Schwatzen und Lachen hallte herüber, und jedes Mal, wenn einer von ihnen durch die Schwingtüren ging, tanzten im Takt der pendelnden Türen die 210
Sonnenstrahlen über die Wände und durchbohrten ihr Herz wie eine Lanze- Die Sonne Afrikas, nach der sie sich schon so lange
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