Ins dunkle Herz Afrikas
ihres afrikanischen Gartens wurde undeutlich, wie von schwarzen Schatten überlagert, ein anderes Bild schob sich darüber, von einer Wiese, irgendwo in Schleswig-Holstein.
Weich senkte sie sich zu einem gurgelnden Bach, in der Mitte wuchs ein wilder Apfelbaum, der in voller Blüte stand. Die Wiese war gelb, ein leuchtendes, strahlend gelbes Meer, aus der Nähe aufgelöst in Millionen von gelben Löwenzahnköpfen. Sie spürte die kühle Erde durch die Matte von Gras und Löwenzahn, hörte die Bienen summen, den Bach murmeln, sah einen Zitronenfalter von Blüte zu Blüte taumeln. Sie tauchte ein in eine Wolke süßen Duftes. Aber noch süßer war das Gefühl der vollkommenen Sicherheit, des Geschütztseins vor Bedrohung und Unheil. Es machte sie trunken. Sie war allein auf ihrer Wiese; wohin sich lan hinter seinem erstarrten Gesicht zurückgezogen hatte, wusste sie nicht. Eben wollte sie ihn in Gedanken zu sich holen, da drängte sich Onkel Hans dazwischen.
Es war in den ersten Monaten nach ihrer Ankunft in Südafrika auf der Farm ihres Onkels gewesen. Sie stand mit ihm unter einem Mangobaum, aß eine reife Frucht. Ein merkwürdiges Geräusch hatte sie veranlasst, sich umzudrehen, und ihr war die Mango im Hals stecken geblieben, als sie die Ursache des Geräuschs entdeckte: ein paar
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Schritte entfernt glitt eine Schlange an ihr vorbei. Sie war wunderschön grün gewesen, fast drei Meter lang, und in ihrem Maul hatte sie einen jämmerlich krächzenden Maina gehalten. Ihr eigener Entsetzensschrei gellte ihr noch heute in den Ohren. Eine grüne Mamba! Noch einmal hatte sie geschrien, war zurückgesprungen, gegen den Baum geprallt und hingefallen.
»Was schreist du denn so, Mädel?«, hatte Onkel Hans gelacht, »die hat das Maul doch schon voll, die kann dir doch nichts tun. Merk dir, du bist hier in Afrika, und Afrika ist nichts für Memmen!« Oh, wie hatte sie ihn dafür gehasst.
Auch jetzt stachelte sie sein Hohn auf. Afrika ist nichts für Memmen! Sie richtete sich auf, sah dem Offizier mit den öligen krausen Haaren, der durch die Tür trat, furchtlos entgegen. Schlimmeres als der Biss einer Mamba konnte ihr nicht widerfahren.
»Kommen Sie mit!«, befahl er, sein Englisch das eines Afrikaanders, hart und flach. Er führte sie wieder in das Büro nebenan. Ihre Pässe lagen vor dem Beamten auf dem Tisch. »Pretoria ist am Telefon. Was ist der Grund Ihrer Reise?« »Urlaub«, gab sie an, ließ lan nicht zu Wort kommen. Sie konnte schneller und überzeugender lügen. »Wir wollen unsere Freunde besuchen, schwimmen, die Wärme genießen, Weihnachten und Neujahr feiern.« Außerdem wollen wir sehen, wie es Vilikazi und Sarah geht, herausfinden, warum Mary Mkize Bomben wirft, versuchen, Victor Ntombela zu besuchen, obwohl über ihn der Bann verhängt ist und er nur seine Familie sehen darf, eine Person zur Zeit, und eigentlich waren wir gekommen, um zu entscheiden, ob wir hier wieder leben möchten. Das alles sagte sie nicht, und keiner konnte es auf ihrem ausdruckslosen Gesicht lesen.
Der Beamte wiederholte ihre Worte auf Afrikaans, lauschte einige Momente, nickte und legte den Hörer auf. »Kennen Sie eine Imbali Duma, genannt Inyoka, die Schlange?« Er spuckte das Wort aus. Der Name traf sie wie ein Schlag.
Erschrocken senkte sie ihre Lider. Imbali! Imbali, Vilikazis Tochter, die mit einem Molotowcocktail mehrere Polizisten getötet hatte! Vorsicht!, mahnte sie sich, unter-216
schätze sie nicht. Sie sind wie Hyänen. Verschlagen, gierig und sehr, sehr gefährlich. Sie entspannte ihre Züge, jeder ihrer Gesichtsmuskeln war sie sich bewusst, löschte alle sichtbaren Gefühlsregungen. Sie runzelte die Brauen, als denke sie angestrengt nach, und wählte ihre Worte mit großer Bedachtsamkeit.
»Ja, ich meine, die Tochter einer meiner Hausmädchen hieß so. Aber das ist über zwanzig Jahre her.« Sie zuckte mit den Schultern und hielt dem Blick des Polizisten stand. Er hatte fast keine Wimpern, was seinen Augen etwas Starres, Fischiges verlieh.
Der Mann schrieb ihre Antwort ohne Kommentar nieder. »Sie sind auf den British-Airways-Flug am 5. Januar 1990 gebucht?« Als lan und sie vorsichtig nickten, knallte er einen Stempel in die Pässe und setzte einen handschriftlichen Zusatz darunter und unterschrieb. Dann schob er ihnen die Pässe über den Tisch. »Am 5. Januar 1990 um 24 Uhr müssen Sie unser Land verlassen haben. Danach sind Sie hier nicht mehr willkommen. Bis dahin -
genießen Sie Ihre Ferien.«
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