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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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seidigen Stimme, die ihr signalisierte, dass er jeden Moment explodieren würde.
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    »Nicht«, murmelte sie leise, legte ihre Hand auf seinen Schenkel. Das Porzellan, das in einem solchen Ausbruch zerschlagen werden würde, wäre fast nicht mehr zu kitten.
    »Genau!«, nickte Ingrid vehement. »Die kommen alle über die Grenze, die schwarzen Horden, leben von unserem Geld, lassen sich auf unsere Kosten ihre Gebisse sanieren und werden dann noch kriminell! Also wirklich, Henrietta, das geht doch nicht!« »Die schwarzen Horden«, murmelte sie und musste an Becky denken, die zierliche Aschantischönheit aus Ghana. »Bitte sprechen Sie Deutsch mit mir, Frau Cargill«, hatte sie in französisch gefärbtem Englisch gebeten,
    »ich will es lernen. Ich will Übersetzerin werden.« Es stellte sich heraus, dass sie außer zwei oder drei afrikanischen Sprachen nicht nur fließend Englisch, sondern auch Französisch sprach, da sie ein paar Jahre in Abidjan gelebt hatte. Und legal war sie auch hier. Sie hatte sich ihre Aufenthaltsgenehmigung zeigen lassen. Sie lautete auf Anna.
    »Anna? Wieso Anna?« fragte sie die hübsche Becky. Becky war die englische Abkürzung für Rebecca.
    »Ist einer meiner anderen Namen.« Ihr Blick wanderte interessiert über die Wand hinter ihrer Arbeitgeberin.
    Für einen verwirrenden Moment fühlte sie sich an Sarah erinnert, und mit einem ungläubigen »Oh« händigte sie ihr das Papier wieder aus. »Nun, gut.« Es hatte keinen Sinn, weiterzubohren. Sie würde doch nicht mehr erfahren, aber sie war sich todsicher, dass Anna kein weiterer Vorname war, sondern dass Anna der Name derjenigen war, die die Aufenthaltserlaubnis besaß, und dass das Dokument jetzt die Runde unter ihren Landsleuten machte. In naher Zukunft würden sich die Annas aus Ghana sprunghaft vermehren. »Kriminell, du sagst es!« riefen Monika und Ingrid mit einer Stimme. »Hörst du eigentlich zu, Henrietta?« »Und zahlen nicht einmal Steuern!« Heiner schlug mit der Faust auf den Tisch, die Gläser klirrten, und der Wirt sah aufmerksam zu ihnen herüber. Dieses Mal musste sie bis dreißig zählen, um ihr Temperament unter 136
    Kontrolle zu bekommen, schaffte es aber nicht. »Das - das fass ich nicht«, sagte sie und versuchte das irre Lachen zu unterdrücken, das sich aus ihr herausdrängte, »>die schwarzen Horden !<« Aus der Vergangenheit tauchte eine tonnenförmige, ältere Frau auf, mit kampfbereit vorgestrecktem Kinn. »Wir Damen vom Gartenclub lernen jetzt schießen«, hatte sie gezischt, und ihre harten Augen hatten fanatisch dabei gefunkelt, »wir müssen bereit sein, wenn die schwarzen Horden über uns kommen!«
    Schießen! Es war heiß gewesen an diesem Weihnachtsabend in Na-tal, und auch jetzt im Dorfkrug war es wohlig warm, und trotzdem richteten sich auch heute wieder die Härchen auf ihren Armen bei diesen Worten auf. »Lernt ihr jetzt auch schießen?« fragte sie. Monikas Mund war blutrot. »Also manchmal redest du wirklich Schwachsinn! Wer hat denn was von Schießen gesagt?« Sie entdeckte an ihrem Zeigefinger einen Tintenfleck, rieb und kratzte daran, versuchte, ihre Beherrschung wieder zu finden. »Was, bitte«, fragte sie endlich, »ist der Unterschied zwischen einem weißen Menschen und einem schwarzen Menschen, der über unsere Grenze kommt, ob illegal oder legal? Ich gebe ja zu, dass es falsch ist, wenn jemand schwarz arbeitet, und dein Argument, dass Becky - so heißt meine Putzfrau - durch unseren Wohlstand verdorben werden könnte, ist nicht leicht zu widerlegen, obwohl wir über den Begriff >verderben< diskutieren müssten. Wenn ich statt trockenes Brot auch einmal Butter und Marmelade darauf essen möchte, ist das verdorben?«
    Die anderen blieben stumm. Ingrid malte Figuren auf die Tischdecke, Monika zündete sich eine weitere Zigarette an, Heiner und Berthold schienen etwas Interessantes auf dem Grund ihres Weinglases entdeckt zu haben.
    »Also«, verlangte sie zu wissen, »wo zum Teufel ist der Unterschied zu einer weißhäutigen Frau aus einer ähnlich unterprivilegierten Region wie zum Beispiel aus dem Osten?« Der Tintenfleck löste sich samt einem Stückchen Haut von ihrem Finger. Ein Blutstropfen quoll an der Stelle hervor.
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    »Das ist doch offensichtlich - man kann es doch gleich sehen, sie sind - nun sie sind anders als wir - schwarz eben, primitiver und so.« Monikas Stimme verebbte.
    »Ich muss mal zur Toilette«, murmelte sie erstickt, warf in ihrer Hast den Stuhl um und floh die

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