Ins Eis: Roman (German Edition)
freizubekommen. Als Tim und Oda zu ihr aufschlossen, klammerten sich ihre Hände noch immer um das Gaspedal, und der Motorschlitten heulte wie ein Tier. Sie mussten sie mit Gewalt vom Schlitten lösen, um ihr die Turnschuhe aus- und Ingrids Stiefel, Überziehhose und Helm anzuziehen. Monika hatte nicht zu Tim auf den Schlitten steigen wollen. Nur zu Oda.
Als Ingrid, nachdem sie sich mit Medikamenten aus der Schiffsapotheke versorgt und Monika verarztet hatte, Monika fragte, wen aus der Familie sie während der Nacht an ihrer Seite haben wollte, erwiderte sie, niemanden. Sie wolle allein sein, aber das erlaubte Ingrid nicht. Also bezog die Ärztin selbst das leere Bett über Monika, in dem vor zwei Nächten noch Erland geschlafen hatte. Das Letzte, was Kirsten von Monika hörte, bevor sich die Kabinentür schloss, war die Bitte, ob sie die Kajüte nicht von innen absperren könnten.
Kirsten ging nach oben, um sich ihre Mütze, Jacke und Handschuhe zu holen, die sie bei Monikas Ankunft achtlos auf einen Tisch im Salon geworfen hatte. Die Uhr zeigte mittlerweile ein Uhr und achtunddreißig Minuten. In der Zwischenzeit hatte sich Hartmut zu der Gruppe oben gesellt; statt seiner langen Unterwäsche trug er nun eine richtige Hose. Tanjas Augen waren verquollen; Fredrik schien erneut in teilnahmsloses Brüten verfallen zu sein. Seine Hand, die Elisabeths umfasste, war schlaff, übte keinerlei Druck aus, obwohl Elisabeth ihre Finger unter seinen größeren immer wieder bewegte, über seine Handflächen strich, seinen Arm berührte.
Die Außentür ging auf, und in einem Schwall eisiger Luft und im Zugwind transportierter Schneekristalle betraten Oda und Tim den Salon. Beide waren sie noch in voller Montur, einzig die Helme und Handschuhe hatten sie abgelegt. Kleine Pfützen bildeten sich um ihre Schuhe. Oda verkündete, zwei Mitarbeiter des Gouverneurs seien auf dem Weg zur »Noorderlicht«, mit Schneemobilen von Longyearbyen aus. Nur damit sich niemand ängstige, wenn später in der Nacht Motorengeräusch ertöne und Fremde die »Noorderlicht« betraten. Es handele sich um einen Polizisten und einen Mitarbeiter des Roten Kreuzes.
Wieso sie jetzt kämen und nicht schon früher, wo sie es doch offensichtlich konnten, wollte Peter wissen. Oda befand es für unnötig, darauf zu antworten. »Geht jetzt ins Bett«, befahl sie, und in ihrem Ton schwang nichts von der gut gelaunten Agenturchefin von früher mit.
In der zweiten Hälfte der Nacht hüllte sich das gediegene Innere der »Noorderlicht« in gespenstische Ruhe.
Der Morgen brachte den Super Puma.
Die Familie hatte sich zum Frühstück um die beiden Tische im unteren Essbereich versammelt. Sie sprachen wenig, warfen immer wieder Blicke in Richtung oberer Treppenabsatz, wo im Deckhaus die zwei Mitarbeiter des Gouverneurs mit der Mannschaft der »Noorderlicht« sowie Tim und Oda zusammensaßen. Einmal kam der Mitarbeiter des Roten Kreuzes nach unten, um Marmelade zu holen. Er grüßte und nannte seinen Namen; die Polizistin hingegen stieg nicht zu ihnen nach unten. Sie war eine hochgewachsene Frau, Ende dreißig, athletisch mit kinnlangen Haaren und in Uniform. Ingrid kannte sie. Sie ging hoch, um sie zu begrüßen.
Kirsten saß an der Stirnseite des Tisches, direkt neben der Stiege. Ärztin und Polizistin sprachen Norwegisch miteinander, aber Kirsten hörte Erlands Namen heraus. Rechter Hand neben Kirsten saß Fredrik. Er musste Fetzen des Gesprächs verstehen, einmal schaute er lange nach oben. Er drehte seine Kaffeetasse in den Händen, das braune Getränk in kontinuierlicher Bewegung. Vor einem Jahr noch, vor zwei Tagen noch, überlegte Kirsten, wäre er einfach die Treppe hinaufspaziert und hätte sich an den Tisch der Offiziellen gesetzt. Um am Ende Antworten auf alle seine Fragen zu erhalten. Jovialer, charmanter, respektgebietender Fredrik Stolt; Herr über Milliarden und zwei Söhne.
Es war kurz nach acht Uhr, draußen wich die Nacht dem Tag. Nur Jonas und Monika fehlten noch.
Um zwanzig vor neun kam Oda nach unten. »Wenn ihr fertig gefrühstückt habt, dann packt eure Sachen zusammen. Ihr habt noch etwa eine halbe Stunde Zeit. Peter, du schaust bitte, dass auch Monikas Sachen gepackt werden und dass sie bereit ist, wenn es losgeht. Ingrid wird dir helfen.«
»Kommt Ingrid denn nicht mit uns mit?«
»Sie bleibt noch. Tim, Ingrid und ich werden später aufbrechen. Wenn hier alles geklärt ist.«
»Was ist mit unseren Hunden?«, wollte Tobias
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