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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sagte sie lachend und verließ das Zimmer.
    Und jetzt stand James Westropp langsam auf, stützte sich am Bett ab und öffnete den Kleiderschrank. Über der Kleiderstange war ein Fach. Er steckte seine Hand tief hinein, tastete eine Weile darin herum und holte dann einen Schuhkarton heraus.
    Vorerst erschöpft, setzte er sich auf sein Bett, um zu verschnaufen. Dann öffnete er den Karton.
    Darin lagen eine Pistole, ein altes Büffellederetui und eine Pillendose aus Messing mit einem Wappen auf dem Deckel. Er schüttelte sie. Es klapperte. Er schaute in den Spiegel und musterte sein ausgezehrtes Gesicht.
    »Eulen nach Athen«, murmelte er.
    Dann stand er wieder auf und begann, sich für seine Besucher anzukleiden.
     
    Weniger als zwei Kilometer entfernt stand Cissy Kohler unter der Dusche und hielt ihr Gesicht in den prickelnden Wasserstrahl. Nach drei Jahrzehnten unter englischem Getröpfel hatte sie vergessen, welch wildes Entzücken eine echte amerikanische Dusche auslösen konnte. Sie würde aufpassen müssen, daß sie nicht süchtig wurde. Schon jetzt war ihre Haut rosa und aufgequollen, die unweigerliche Folge von zuviel heißem Wasser. Aber es fiel schwer, aus dem kochenden Strahl zu treten, der ihr die verspannten Muskeln löste, das narbige Gemüt mit Wasserdampf umnebelte und die in Fleisch und Blut übergegangenen Gefängnisjahre abzuwaschen drohte.
    Sie drehte den Thermostat auf kalt, schnappte nach Luft, als die Temperatur um 40 Grad fiel, und drehte das Wasser ab.
    Während sie sich kräftig abrieb, stellte sie zum ersten Mal fest, daß sie zunahm. Essen interessierte sie nicht besonders, sie aß, was man ihr vorsetzte, aber eindeutig war das, was man ihr nun vorsetzte, eher dazu angetan, eine Auswirkung auf ihre Vorderfront zu haben, als die strenge Diät in den Haftanstalten Ihrer Majestät der Königin.
    Interessanter aber als die Veränderungen an ihrer Gestalt und Haut war die Tatsache, daß sie ihr aufgefallen waren.
    Hieß das, daß sie wieder eitel wurde? Konnte es wirklich sein, daß sie sich nun, nach so vielen Jahren, kurz vor der entscheidenden Begegnung, von ihrem äußeren Erscheinungsbild davon ablenken ließ, all das, was sie empfunden hatte und was ihr widerfahren war, in eine klare, unzweideutige Sprache zu bringen?
    Sie wandte sich dem großen Badezimmerspiegel zu. Er war beschlagen, und für einen Moment schien die rosige Gestalt, die sie im Wasserdampf nur schwach erkennen konnte, jenes Mädchen zu sein, das sie selbst am Tag vor dem endlosen Gestern gewesen war. Sie beugte sich vor und schob den nebligen Vorhang mit dem Handtuch beiseite.
    Sie schaute lange unverwandt auf das freigelegte Bild, dann schlüpfte sie in ihren Bademantel und ging ins Schlafzimmer.
    Im Türrahmen stand Jay Waggs.
    »Hallo, ich habe angeklopft, aber ich nehme an, du konntest mich unter der Dusche nicht hören. Du siehst ja beinahe glücklich aus! Sehe ich da ein Lächeln auf deinem Gesicht?«
    »Ich habe gerade gedacht: Warum so gut wie möglich aussehen, wenn du auch unbeschadet schlecht aussehen kannst?«
    »Ach ja? Um das zu verstehen, brauch ich eine Weile. Inzwischen gibt es Neuigkeiten. Der Polyp, dem ich eine verpaßt habe, wohnt hier bei uns im Hotel. Ich habe gesehen, wie er zum Frühstück ging und dann ans Telefon gerufen wurde.«
    Cissy Kohler zuckte mit den Schultern.
    »Dann ist er eben hier. Er kann doch nichts ausrichten.«
    »Das wissen wir nicht. Wir wissen nicht, für wen er arbeitet. Er macht mich unruhig.«
    »Dieser Typ Mann würde mich auch beunruhigen, wenn ich ihn k. o. geschlagen hätte.«
    »Wenn deine Bemerkung nicht so sehr den Nagel auf den Kopf treffen würde, wäre sie beinahe witzig. Ciss, du bist heute morgen richtig aufgekratzt. Ich wußte, daß du ihn gern wiedersehen willst, aber ich hätte nicht gedacht, daß es dich glücklich machen würde.«
    »Was heißt schon glücklich? Laß dich nicht täuschen, Jay. Ich bin innerlich bereit, das ist alles.«
    »Braves Mädchen. Aber vielleicht ist es besser, wenn ich vorher noch mit dem Fettwanst rede und herauskriege, woher er kommt. Ich will nicht, daß er alles verdirbt.«
    »Du bist sehr mutig, Jay.«
    »Nein, überhaupt nicht. Ich warte, bis er sein Telefonat beendet hat, und dann folge ich ihm in den Frühstücksraum. Kein Polyp schlägt gern jemanden in der Öffentlichkeit zusammen. Außerdem sieht er nicht danach aus, als würde er sich prügeln, wenn er gleich etwas Gutes zu essen bekommt. Du wartest hier auf mich. Es

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