Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill

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wollen sagen, Sie haben die Zügel in der Hand und lassen Sie je nach Belieben schleifen oder ziehen sie an? Ich verstehe.«
    »Gut.« Sempernel ging durch die Tür und streckte sich, so daß sein Gesicht nur von der langen Nase abwärts sichtbar war. »Ich verabschiede mich dann also.«
    Vor des Engländers wäßrigem Blick geschützt, stieß Waggs seinen Mittelfinger in die Luft, während er seinerseits sagte: »Ja. Auf Wiedersehen.«
    Er sah so lange aus dem Fenster, wie die schlaksige Gestalt den aufgeweichten Weg hinaufschritt, dann nahm er den Hörer ab und telefonierte.
    »Mr. Jacklin, bitte. Jay Waggs am Apparat. Jacklin? Hallo. Wie geht es Ihnen? Uns geht es gut. Ja, sie ruht sich aus. Hören Sie, Sempernel war hier. Jede Menge aalglattes Whitehallgeschwätz, aber er paßt auf, daß mein unterbelichtetes amerikanisches Gehirn auch ja die Spielregeln versteht. Wollte es Ihnen nur mitteilen. Wie sieht es an Ihrem Ende aus? Keine Veränderung? Das ist gut. Melden Sie sich. Ciao.«
    Er lauschte noch eine Weile, bevor er den Hörer auflegte. Es konnte bloßer Verfolgungswahn sein, daß er ein Klicken hörte, doch Sempernel schien ihm kein schlechter Anlaß, neurotisch zu reagieren. Und wenn das Telefon angezapft war, warum sollte dann nicht das ganze Haus verwanzt sein?
    Er ging in die Küche, warf dem Kessel eine Kußhand zu und stellte ihn an.
    Wenige Minuten später klopfte er an Cissys Zimmertür und trat mit einer Tasse Kaffee ein.
    Cissy Kohler hatte sich im Bett aufgesetzt und las in ihrer Bibel.
    »Ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf das hier«, sagte er. »Es ist zwar nicht ganz wie daheim, aber annähernd. Wie fühlst du dich?«
    Sie schloß das Buch, legte es auf den Schoß und nahm die Tasse.
    »Gut.«
    »Sempernel war hier.«
    »Wer?«
    »Der Typ, der wie eine Haarnadel aussieht, die jemand geradezubiegen versucht hat. Er wollte nur sichergehen, daß wir die Regeln kennen.«
    Sie trank ihren Kaffee mit geschlossenen Augen, als würde sie mit dem Dampf Visionen aufnehmen. Er musterte ihr Gesicht und fragte sich, wieviel sie von dem, was geschah, überhaupt mitbekam. Um so leichter zu schauspielern, wenn es tatsächlich lauschende Ohren gab.
    »Er fragte nach deinen Memoiren, Cissy.«
    Sie öffnete die Augen.
    »Memoiren?«
    »Ja. In der Presse zirkulieren Gerüchte, daß du alles, was sich in Mickledore Hall ereignet hat und auch was hinterher während der Haft passierte, aufgeschrieben hast. Irgendwie sei es dir gelungen, diese Aufzeichnungen aus dem Gefängnis zu schmuggeln, und nun würden sie irgendwo auf dich warten.«
    Er kannte ihre Antwort. Sie hatten dieses Gespräch schon einmal geführt.
    »Das stimmt nicht«, sagte sie ohne jeden Nachdruck. »Das hat man sich ausgedacht.«
    »Das habe ich ihm auch gesagt. Doch wenn du Memoiren hättest, würde es die Sache sehr viel einfacher für mich machen, Cissy. Das Buch, der Film …«
    »Welches Buch? Welcher Film?« Sie sah ihn verständnislos an.
    »Wir sprechen später darüber«, sagte er freundlich. »Die Zeit ist noch nicht gekommen. Wir sprechen darüber, wenn du dich erholt hast.«
    »Wie lange bleiben wir noch hier, Jay?« fragte sie plötzlich. »Du hast gesagt, daß wir bald nach Hause fahren würden. Du hast gesagt …«
    Das wurde gefährlich. Er fiel ihr ins Wort: »Wir fahren, Cissy, das habe ich dir doch versprochen. Sobald Mr. Sempernel uns das Okay gibt. Gefällt es dir denn hier nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Nicht besonders.«
    »Und warum?«
    »Ich weiß nicht. Es ist so alt … so englisch …«
    »Ja. Es ist aber nicht für lange. Jetzt ruh dich wieder aus, ja?«
    Ihre Tasse war leer. Er nahm sie ihr aus den Händen, und sie legte sich zurück auf die Patchworksteppdecke, die Hände über ihrer alten ledergebundenen Bibel auf dem Bauch gekreuzt. Ihre Augen waren noch offen, aber er hatte nicht den Eindruck, daß sie ihn sahen. Im Gegenteil, er hatte das merkwürdige Gefühl, daß er sie bald selbst nicht mehr sehen würde, wenn er hier noch länger stehen blieb.
    Er wandte sich um und verließ das Zimmer.

Sechs
    »Jetzt kommt und nehmt Euren Platz im Kreise, wir wollen ruhig zusammensitzen und auf die Echos lauschen, über die Ihr Eure eigene Theorie habt.«
    V erdammtes Pech!
    Wie oft war er auf dem Weg zu seinen Lieben und einem warmen Abendessen von Dalziel gekapert und mehr oder weniger mit Gewalt in den Schwarzen Bullen abgeschleppt worden?
    Heute abend war weit und breit nichts von dem