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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Überleben des Planeten gekämpft hatten, ihn an diejenigen abtraten, für die sie diesen Kampf geführt hatten; Dixon of Dock Green machte den Weg frei für Z-Cars, Bond mußte Smiley weichen, die Monsignori den Maharischas und Matt Dillon dem Bob Dillon, als das Abendglühen des Goldenen Zeitalters zur psychedelischen Morgendämmerung des neuen Dallas-Glamours wurde.
    Es war im Jahr des Herrn 1963, und es paßt wie das Tüpfelchen auf dem i, daß das Verbrechen, von dem hier die Rede ist, auf Mickledore Hall, einem der großen Güter Yorkshires, begangen wurde und daß seine Aufklärung am traditionsreichsten aller Orte, nämlich in der alten Bibliothek, stattfand …
    Hätte ein Bühnenbildner aus Hollywood eine Kulisse für eine solche Szene in einem Film von Agatha Christie bauen müssen, wäre dabei wahrscheinlich so etwas wie die Bibliothek von Mickledore Hall herausgekommen.
    Man stelle sich einen Schreibtisch von der Größe einer Tischtennisplatte vor, der auf einem Teppich von den Ausmaßen eines Badmintonspielfeldes steht. Im Raum verteilt sind verschiedene Sessel, die im Stil nicht zueinander passen, außer insofern, als die verblichenen Polster wie das Fell eines sehr alten Terriers aussehen. In eine Wand sind drei tiefe Erkerfenster eingelassen, vor denen verstaubte Samtvorhänge hängen. An den drei anderen Wänden ragen Bücherschränke empor, hinter deren Rautengittern tausend Bücher verrotten, von wenig berührt außer der Zeit, denn dafür, daß sie eine intellektuelle Ader hätten, war das Geschlecht der Mickledore nicht berühmt.
    Der Baronet war 1963 ein typischer Vertreter der alten Familie, groß, gutaussehend, sportlich und von einer Überschwenglichkeit, die man bei einem Mann von geringerem Format als laut und herzlich bezeichnet hätte.
    Ralph Mickledore – von seinen Freunden Mick genannt – hatte jedoch noch eine andere Seite, wie seine enge Freundschaft mit dem sehr verschlossenen und wenig herzlichen James Westropp belegt. Im Prozeß stellte der Verteidiger Sir Ralph als den Prototypen des englischen Exzentrikers dar, als den Landjunker, der sein Gut noch so verwaltete, als sei das 20. Jahrhundert nicht angebrochen: Shire-Pferde, die den Pflug zogen, eine Wassermühle, die das Korn mahlte, und Wilderer, die die Wahl zwischen einem Tritt in den Hintern oder einem Richter hatten, der von vornherein auf gutsherrlicher Seite stand.
    Der Staatsanwalt hingegen zeichnete ein ganz anderes Bild. Auf dem Gut mochten zwar viktorianische Wertvorstellungen herrschen, aber fern von Yorkshire kam Sir Ralph mehr wie ein Lebemann der Restauration daher. Nachtclubs, Kasinos, Rennbahnen. Seine städtischen Jagdgründe lagen in der Grauzone, in der sich die elegante Welt mit der Halbwelt vermischt. Der Unterschied zwischen den beiden Lebensstilen wurde nicht als harmlose Exzentrik dargestellt, sondern als schwarze Heuchelei. Und gegen Ende des Jahres 1963 waren Geschworene sehr wohl bereit, von gesellschaftlich über ihnen Stehenden das Schlimmste anzunehmen, obwohl es nicht nur Zynismus zu verdanken war, daß Ralph Mickledore die wenig beneidenswerte Auszeichnung zuteil wurde, der letzte Straftäter zu sein, der in Mid-Yorkshire gehängt wurde.
    Die Gäste trafen am Freitag, dem 2. August, ein. Es war ein langes Wochenende, zu dem der Montag gehörte, der Bankholiday im August, der seither abgeschafft wurde. Nach dem fast unerträglich melodramatischen Prozeß von Stephan Ward verließen die Großen und die Braven London. Obwohl Dr. Ward in seinen sensationellsten Jahren für gewaltige Schlagzeilen sorgte, ist er inzwischen vielleicht völlig aus dem Gedächtnis einiger Zuhörer verschwunden. Deshalb mag als Vorspeise ein wenig Geschichte in Kurzform angebracht sein.
    Im März des Jahres war John Profumo, der Kriegsminister, zurückgetreten (in jenen weniger schönfärberischen Tagen hatten wir die Verteidigungsminister noch nicht erfunden), nachdem ans Tageslicht gekommen war, daß er das Parlament belogen hatte. Er hatte die Behauptungen zurückgewiesen, er unterhalte unschickliche Beziehungen zu einer jungen Frau namens Christine Keeler. Die Unschicklichkeit bezog sich nicht nur auf das Sexuelle. Miss Keeler wurde vorgeworfen, die Geliebte von Hauptmann Juri Iwanow gewesen zu sein, einem Marineattaché, von dem der britische Geheimdienst wußte, daß er Offizier des KGB war. Eine Verbindung, so weitläufig sie auch sein mochte, zwischen einem Kabinettsmitglied und einem feindlichen Agenten

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