Ins Leben zurückgerufen
explodierte Waggs. »So war es nicht. Es kam zu einer Massenkarambolage. Tante Tessa und der alte John kamen darin um. Ich hatte nicht gewußt, wie sehr ich sie brauchte. John war immer ganz locker, dem war es egal, was ich anstellte, solange ich nicht sein Auto demolierte. Makaber, was? Aber ich habe ihn wirklich gemocht. Niemals Druck. Und was Tante Tessa betraf … Ich habe sie Mami genannt, bis sie mir erzählt hat, was wirklich geschehen war, dann habe ich damit aufgehört. Mein Gott, wie muß sie das verletzt haben! Wie beschissen von mir! Wenn ich nachts wach liege und mir die Decke auf den Kopf fällt, kommt mir das immer als erstes in den Sinn. Ich habe sie nicht mehr Mami genannt.«
»Verdammte Scheiße!« sagte Dalziel. »Kein Wunder, daß ihr Kerle keinen Krieg mehr gewinnt. Das, was ihr da betreibt, ist schon keine Nabelschau mehr, bei euch steckt ja der ganze Kopf im eigenen Arsch.«
Westropp sagte: »Mr. Dalziel, sind Sie sicher, daß Sie nicht beim Auswärtigen Amt sind? Ich kann bestätigen, was John gesagt hat. Er hat nicht aus finanziellen Motiven mit mir Verbindung aufgenommen. Jedenfalls nicht beim ersten Mal.«
Er warf seinem Stiefsohn einen kurzen Blick zu und hätte fragend die Augenbraue hochgezogen, wenn ihm die Chemotherapie Haare gelassen hätte. Unter seiner fahlgelben Blässe zeigten sich hektischrote Streifen, wie Morgenröte am Monsunhimmel. Marilou beobachtete ihn, das Gesicht vor Sorge angespannt.
Waggs sagte: »Ich hatte einfach das Bedürfnis … Jedenfalls fuhr ich zu dem Anwalt nach Washington und sagte ihm, ich wolle mich mit meinem Stiefvater in Verbindung setzen. Ich rechnete allenfalls mit einer Adresse in Singapur oder sonst irgendwo am Ende der Welt. Als ich erfuhr, daß er sozusagen um die Ecke wohnte, wohletabliert und gemütlich mit einer neuen Frau, war ich richtig sauer. Blöd, was? Aber er sagte, er würde mich gern sehen, und so fuhr ich hin. Und es war okay. Nicht großartig, aber okay. Und sie hatten Pip aus England von der Schule kommen lassen, damit er hier zur Uni gehen konnte, so sprang dabei ein Halbbruder für mich heraus. Und das war auch okay.«
Er warf Philip einen liebevollen Blick zu, und die grimmige Miene seines jüngeren Halbbruders hellte sich für einen Augenblick auf.
Dalziel sagte: »Okay, überspringen wir alles bis zu dem Zeitpunkt, als es nicht mehr okay war.«
»Sie sind es, der bei der Kripo ist«, sagte Waggs herausfordernd. Aber auch hinhaltend. Er mag Pip, dachte Dalziel. Es stört ihn, daß der Junge dabei ist. In seiner Gegenwart möchte er nicht schlecht über seinen Vater sprechen.
Dalziel sagte: »Ich weiß zwar nicht, wieso, aber ich vermute, der Briefwechsel zwischen Miss Kohler und Mr. Westropp hatte was damit zu tun.«
»Was zum Teufel wissen Sie denn darüber?« fragte Westropp.
»Ich weiß, daß Miss Marsh versucht hat, die Adresse Ihres amerikanischen Anwalts an Cissy Kohler zu verkaufen, und wahrscheinlich eine Abfuhr erhielt. Aber dann haben Sie wohl angefangen, nachzudenken, was, Mädchen? Und Sie haben Daphne Bush rumgekriegt, die Adresse irgendwie aus Beddington College zu beschaffen und dann einen Brief an Ihren alten Chef aufzugeben. Nur als die Antwort kam, beschloß die Bush, sie Ihnen nicht zu zeigen, aus Selbstsucht vielleicht, vielleicht aber auch aus Liebe. Dann haben Sie sich gestritten, und sie hat Ihnen den Brief doch gezeigt und dabei ein paar Gemeinheiten an den Kopf geworfen. Und Sie haben sie umgebracht …«
»Es war ein Unfall«, sagte Cissy Kohler. »Sie fiel hin. Niemand hätte es mir geglaubt, und mir war es sowieso egal, darum habe ich den Mund nicht aufgemacht … Woher wissen Sie das alles?«
»Ich habe den Brief gelesen, Mädel. Im Ernst. Haben Sie geglaubt, er wäre mit Daphne begraben worden? Aber den Brief, den Sie an Westropp geschrieben haben, den kenne ich nicht. Was ist damit passiert, Mr. Westropp?«
»Ich weiß nicht. Ich denke, ich habe ihn zerrissen oder verbrannt … ich weiß es wirklich nicht mehr. Ist es denn wichtig?«
»O ja, ich denke, es ist wichtig«, sagte Dalziel und sah Waggs an.
»Herr im Himmel, Sie kriegen wirklich einen Kick daraus, den großen Kriminalisten zu spielen«, sagte Waggs. »Ja, ich habe den Brief. Mein Stiefpapa hatte recht. Zuerst spielte Geld keine Rolle, aber dann … Vor ein paar Jahren, als die Kerle von Hesperides den großen Druck machten, kam ich hierher. Ich wollte mir Geld von dir leihen, um sie loszuwerden. Aber das war an
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