Ins Leben zurückgerufen
dagegen. Desgleichen Pip, doch Dalziel war schon auf dem Sprung und sagte: »Ich habe nichts dagegen. Ich muß sowieso Pipi machen. Oben, nicht wahr, Schätzchen?«
Ohne Marilous Antwort abzuwarten, ging er in den Dielenflur und rannte leichtfüßig die Treppe hinauf.
Der erste Raum, in den er schaute, war die Toilette. Er öffnete die nächste Tür. Ein Schlafzimmer. Neben dem Bett, ein Telefon.
Behutsam nahm er den Hörer ab, legte die Hand auf die Sprechmuschel und drückte das obere Teil ans Ohr.
Ein Augenblick verging. Dann sagte Westropp: »In Ordnung, Scott. Was gibt’s?«
»Ich habe gehört, du hast Gesellschaft«, sagte Ramplings Stimme. »Ist noch jemand da?«
»Meine Gäste haben freundlicherweise für einen Augenblick das Zimmer verlassen«, sagte Westropp. »Wie kann ich dir helfen, Scott?«
»Ich will wissen, was los ist. Weißt du, daß die Kohler ein Tagebuch geführt hat? Kodiert, in einer Bibel. Gütiger Himmel! Aber ich habe es, und es ist eine interessante Lektüre. Sie ist davon überzeugt, dich zu schützen.«
»Und?«
»Und gar nichts. Und es ist also nicht so, wie es angeblich war. Und ich habe mir Gedanken gemacht: Wie war es wirklich?«
Westropp sagte mild: »Scott, das sind gramvolle Dinge, alt und fern und mehrere Kriege lang schon her. Mein Rat ist, laß sie auf sich beruhen.«
»Das habe ich ja versucht«, protestierte Rampling. »Ich habe meine Leute drauf angesetzt.«
»Du meinst das Mädchen?« lachte Westropp. »O Scott, du hast immer schon alles gewollt. Ich kann’s mir genau vorstellen. Sempernel oder sonst so jemand warnt dich, daß Ärger im Verzug sei, und bittet dich, die Sache in Ordnung zu bringen. Du sagst,
na, sicher,
denkst aber, wenn
sie
die Angelegenheit bereinigt haben wollen, wäre es vielleicht nicht uninteressant, die Sache einfach laufenzulassen und festzustellen, worum es sich dabei handelt. So daß die Schmutzarbeit an dem armen Mr. Dalziel hängenbleibt! Scott, du bist so verschlagen, daß du dich manchmal selber an der Nase herumführst.«
»Das Sterben macht dich richtig frech, James. Ich bin zur Zeit in Williamsburg, damit so ein Schlitzauge sich einbilden kann, er sei wichtig genug, um beschützt zu werden. Ich komme später vorbei, um zu hören, was nun eigentlich wirklich geschehen ist. In der Zwischenzeit würde ich dir raten, die Leute wegzuschicken. Jemand in deinem Zustand sollte nicht den Gastgeber spielen.«
»Deine Fürsorglichkeit ist beinahe unerträglich«, sagte Westropp. »Versuch die Ruhe zu bewahren, sei so lieb. Wie der französische Adelige auf dem Weg zur Guillotine so schön sagte, das ist nicht der richtige Moment, um den Kopf zu verlieren. Entschuldige. In deinem Fall ist das Bild ziemlich kraß, aber du weißt, was ich sagen will. A bientôt!«
Er legte den Hörer auf. Dalziel legte den seinen fast gleichzeitig auf, ging vom Schlafzimmer ins Bad, drückte auf die Toilettenspülung und rannte wieder leichtfüßig die Treppe hinunter.
Die anderen standen im Flur wie Bewerber für eine Stelle, die darauf warteten, wieder ins Besprechungszimmer gerufen zu werden.
Waggs fing Dalziels Blick auf und hob eine Augenbraue. Zumindest er hegte den Verdacht, daß Dalziels Verschwinden vielleicht nicht durch seine Blase motiviert gewesen war.
Dalziel sagte: »Besser raus damit.«
»Sprechen Sie von der Wahrheit?«
»Darauf würde ich nicht Ihre Rente verwetten. Ein Wort unter vier Augen?«
Er sah sich um. Marilou stand dicht an der Wohnzimmertür und sah sie so fest an, als wolle sie das Holz mit ihrer Willenskraft durchdringen. Philip stand neben ihr, das junge Gesicht blaß und besorgt. Cissy Kohler hatte sich eine Zigarette angezündet und lehnte mit leerem Gesichtsausdruck und starrem Blick an der Wand, selbst der Rauch ihrer schlanken Zigarette blieb vor ihr in der Luft stehen.
Dalziel nahm Waggs’ Arm und schob ihn durch eine Tür in die Küche.
»Wohin führt uns das alles?« fragte er.
»Das ist eine seltsame Frage für einen Polizisten.«
»Ach ja? Warum denn das?«
»Ich dachte, ihr Kerle würdet euch nur von den Tatsachen leiten lassen.«
»Es gibt solche und solche Tatsachen.«
»Wie das? Ich dachte, eine Tatsache sei eine Tatsache sei eine Tatsache.«
»Manchmal sind sie wie Porzellanscherben. Man setzt sie zusammen und kriegt eine wasserdichte Schüssel. Manchmal sind sie wie Schokoladestückchen. Man kaut sie und hat nur noch Scheiße.«
»Großer Gott! Soll ich Ihnen mal was sagen, Dalziel? In Ihnen
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